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Eine Quote fürs Neue!

Aber keine für deutschsprachige Musik. Fordertder „Keimzeit“-Sänger. Er singt nur auf Deutsch

Ein Blick auf die Top 100 dieser Woche, also die bestverkauften Alben der vergangenen Tage, verrät: vier deutschsprachige Alben unter den Top 10 und etwa 30 deutschsprachige LPs unter den Top 100. Bei den verkauften Singles sieht es ähnlich aus. Brauchen wir wirklich eine Quote für deutschsprachige Musik?

Nun könnte man einwenden, dass in diesen 30 Prozent von den Toten Hosen über Andrea Berg bis zu Stefan Raab die gesamte Palette der deutschen Unterhaltungsmusik zum Zuge kommt, und dass der seit Jahren hochgeschätzte Künstler X es nie bis in die Charts geschafft hat. Auch im Radio und im TV ist er nicht zu hören. Schon lange gibt es den Verdacht, dass man ihn seiner deutschen Herkunft wegen ignoriert. Sänge er in Englisch, wäre er längst ein Star.

Pech gehabt, so einen kenne ich auch. Wo nun soll die Maßregelung beginnen? Zumal, wie eingangs gezeigt, der Tonträgerverkauf eine mögliche Quote längst überholt hat. Fürsprecher der Quote führen gern Frankreich als lobenswertes Beispiel an. In der Radiolandschaft Frankreichs rockt und trällert es vorwiegend französisch. Ich kenne viele Franzosen, die darüber sehr glücklich sind. Ich wäre es gern auch. Doch abgesehen von der charmanten Sprache kann ich im Radioprogramm, ähnlich wie in Deutschland, Fastfood-Produktionen bei Popsongs sowie eine piefig-biedere Chansonattitüde bei Klassikern nicht überhören. Das macht es furchtbar langweilig. In Frankreich höre ich kein Radio.

Eine Quote innovativer Popmusik wäre keine schlechte Idee. Die muss man nicht auf deutsche oder französische Musik beschränken. Retroschrott wird in allen Sprachen feilgeboten. Wie oft werden wir uns noch eine entsetzliche Coverversion eines Depeche-Mode-Oldies, eines NDW-Hits oder eines Rio-Reiser-Songs anhören müssen, um erneut festzustellen, dass allein die Originale das Herz bewegen? Ein Ende ist da nicht in Sicht. Schauen wir nach den weißen Flügeln am Horizont.

Ein paar wenige Radiostationen haben erkannt, dass sich deutschsprachige Popmusik à la Annett Louisan einer stetig wachsenden Zuhörerschaft erfreut. Wenn sich dieser Trend herumgesprochen hat, werden Stationen angloamerikanischen Formats nachziehen. Sicher, das kann dauern. Nehmen wir uns die Zeit. Was spricht dagegen? Im Übrigen, ein vom Medienglück ungeküsster deutschsprachiger Künstler sollte sich nicht der Illusion hingeben, mittels einer Quote an der Tafel der Popularität Platz nehmen zu dürfen. Dort sitzen bereits die Toten Hosen, Andrea Berg und Stefan Raab mit ganz lieben Freunden.

NORBERT LEISEGANG

NORBERT LEISEGANG (44) ist seit 1980 Sänger von „Keimzeit“

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