piwik no script img

Bienenkörbe auf dem Hof

Schulz, der Pionier, kommt nur noch selten: Ein Besuch in der Wagenburg Wuhlheide, die auf dem Gelände eines ehemaligen FDJ-Sommerlagers entstand. Heute wird eher Buddha als Marx gelesen

VON DETLEF KUHLBRODT UND KATRIN SCHINGS

Um halb zwei waren wir aufgebrochen zur Wagenburg in der Wuhlheide. Weil der Weg doch weiter war als erwartet, kamen wir mit leichter Verspätung zum Treffpunkt am FEZ. Das FEZ war ein DDR-Highlight und sieht noch immer gut aus. Dieter, der uns abholte, schwärmte von den vielen Sachen, die im FEZ stattfänden. Er ist 45 und seine hochgesteckten grauen Haare stehen in einem gewissen Kontrast zu seiner männlichen Stimme. Der gebürtige Paderborner hat eine klassische Westberliner Vergangenheit und wurde von Ton Steine Scherben sozialisiert.

Sein Freund Norbert wohnt in einem großen Bus. Innen ist es gemütlich und hell wegen der vielen Fenster, die er bald mit Dämmmaterial, für das er einen Antrag beim „Sozi“ gestellt hat, zumachen wird. Es gibt einen Tisch, Sitzgelegenheiten, einen Gasbrenner, ein „Save the rainforest-Poster“ und ein Bett am Ende des Busses, auf dem ein altes Taschenbuch liegt: „Eckart Kroneberg – Buddha, Berlin-Wilmersdorf“. Wir trinken Tee und essen Kekse. Norbert ist 50 und sieht mit seinem langen weißen Ziegenbart aus wie Laotse. Seit der Jugend ist er der ältere Freund von Dieter, den er damals in die Welt der Psychedelika eingeführt hat. Nachdem er vor zehn Jahren dem Dalai Lama begegnet ist, entsagte er nicht nur den Drogen, sondern auch allem Besitz: „Ich will nichts haben, von meiner Einstellung her, weil ich Buddhist bin.“

Der gelernte Fernsehtechniker hat 15 Jahre im Ausland gelebt. In den 80ern war er ein Jahr in Nepal, um dort den Buddhismus zu studieren. Dann eine Zeit lang in Südamerika, wo er heiratete. Das Paar ging nach Deutschland, seine Frau bekam ein Kind, die Ehe zerbrach. Eine kleine Erbschaft ging für Unterhaltszahlungen drauf und Ersparnisse aus der Zeit als Fernsehtechniker für eine viereinhalbjährige Reise nach Indien. Die überwiegende Zeit lebte er dort als Eremit. Der Versuch, sich einbürgern zu lassen, scheiterte an der indischen Bürokratie, er musste das Land verlassen. Als er zum ersten Mal seinen Freund Dieter in der Wagenburg besuchte, dachte er: „Der lebt ja hier wie ich im Urlaub. Das kann ich doch auch mal machen.“ So lebt er nun hier in dem Bus von Schulz, der nur noch selten vorbeikommt.

In die Gesellschaft zurückgekehrt mit angemeldetem Wohnsitz und Sozialhilfe ist Norbert nur wegen chronischer Kopfschmerzen, die behandelt werden müssen. Es wird sein erster Winter seit langem in Berlin sein. Er ist vorerst der Letzte, der in die Wagenburg einziehen konnte, die Zuzugsstopp hat. 85 Menschen sind hier ganz ordentlich angemeldet und zahlen 92 Euro pro Monat für Strom und Wasser. Das Zusammen- und Nebeneinanderherleben im Wagendorf funktioniere ganz gut und ist eigentlich „unkaputtbar“, sagt Dieter und dass er „eigentlich gar kein Gemeinschaftsfred“ sei.

Das Gelände ist groß, 4,5 Hektar, und die Wägen stehen weit verstreut. Im Zentrum des Dorfes sind sie schick, zum Wald hin, wo die Punker wohnen, wird es wüster. Auf manchen Wägen stehen noch Graffiti. Zum Beispiel: „LSD tut nicht aua“ oder „Wixer – wir kriegen euch alle“. Es gibt Hunde, Bierflaschen und ein paar verwelkte Marihuanapflanzen, die niemand geerntet hat, weil der Boden so verseucht ist. Ein älterer Alkoholiker mit roten Bäckchen warnt uns vor dem Cannabiskonsum. Da bekäme man nur einen Kopf von. Einmal und nie wieder hätte er das probiert, sagt er und lacht.

Dieter wohnt seit 1992 in der Wagenburg. Früher war das Gelände ein FDJ-Sommerlager. 1991 entdeckte ein genialischer Typ namens Schulz den ehemaligen „Pionierzeltplatz Karl Marx“ und zog mit seinen Wagen hierher. Denn hier gab es intakte sanitäre Anlagen, Wasseranschluss, eine Küche und Unterkünfte, die die FDJ zurückgelassen hatte. Kurz darauf kamen die vom Potsdamer Platz vertriebenen Rollheimer in die Wuhlheide dazu. Zeitweilig war das Gelände mit 150 Einwohnen überfüllt. Heute ist die Wagenburg ein eigenständiger Verein in Selbstverwaltung. Zur Überraschung aller klappt alles ganz gut.

Dieter wohnt in einem winzigen Bauwagen, in dem früher lauter Bienenkörbe standen. Die hat er jetzt draußen aufgestapelt. Wie Norbert hat er einen kleinen Hof vor seinem Wohnsitz. Zur Hälfte besteht sein hippiesk wirkender Raum aus einem Bett, das von seiner verstorbenen Mutter stammt. Dieter, gelernter Fernmeldetechniker, ließ sich 1995 im Zuge der Umstrukturierung der Post zur Telekom mit einer Abfindung aus seinem Job herauskomplimentieren. Mit dem Geld hatte er ein lockeres Jahr und machte Anschaffungen für das Leben in der Wagenburg mit seiner damaligen Freundin und deren Kindern. Die Freundin lebt inzwischen in einer Wohnung in Friedrichshain. Der Frauenanteil in der Wagenburg ist ohnehin gering. 15 Frauen sind gemeldet. Die meisten ziehen weg, wenn die Kinder zur Schule müssen, denn der Schulweg ist zu weit. Dieters Sohn ist schon erwachsen.

Auf unserem Spaziergang besuchen wir das gemütliche Gemeinschaftshaus, in dem es auch Internet gibt, und Norbert zeigt uns die Stromverteilerkästen, die er nach und nach auf Vordermann bringt. Er kümmert sich um vieles hier. Dann gibt es auch noch Dani Ludwigs, die Künstlerin, die ihre metallischen Werke in einem Pavillon ausgestellt hat. Die Kunstwerke wirken kostbar und filigran, die Tür ist trotzdem nicht abgeschlossen. Anfang der 90er hatte Dani noch ein Zirkuszelt, in dem unter anderem Helge Schneider auftrat. Das verkaufte sie dann und zog hierher. Den Platz vor ihrem Häuschen hat sie mit Pflanzen, Steinen und Kunstwerken gestaltet. Ihr gehören mehrere Wagen, und ihr vergleichsweise luxuriöses Domizil hat etwas märchenhaft Verwunschenes. Wir stören sie bei ihrer Lieblingssendung: „Raumschiff Enterprise“, dennoch nimmt sie sich ein paar Minuten Zeit für uns. Immer wieder mal erwäge sie, woanders hinzuziehen, aber bleibe dann doch.

Auf unserem Spazierweg begegnen wir dem freundlichen Schaf von Olli und einigen netten Hunden, Hühnern und Kaninchen. Olli und seine Freundin wirken wie junge Landnehmer damals bei der Besiedelung Amerikas. Es ist unerwartet still auf dem Gelände und zum Schluss zeigt uns Norbert noch das erste Haus am Platz. Ein fachmännisch gebautes Anwesen aus weißem Holz mit Veranda und Dachterrasse, das an Baumärkte denken lässt. Hier residiert Rainer. Auch er lebt schon lange in der Wagenburg und engagiert sich im Vorstand des Vereins.

In der Abenddämmerung fegt Dieter Laub vor seinem Wagen. Etwas melancholisch, weil es hier im Dorf so angenehm ist, fahren wir zurück in die Stadt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen