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Es geht nicht allein um den Euro

Der Streit um den Stabilitätspakt hat die EU gespalten. Der Ärger über die deutsch-französische Dominanz wird Auswirkungen auf die Verfassung haben

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Als Währungskommissar Pedro Solbes kurz vor vier Uhr am Dienstagmorgen die Sitzung der Eurogruppe verließ, machte er keinen Versuch, Ärger und Enttäuschung diplomatisch zu verbrämen. Sein graues, übernächtigtes Gesicht zeigte, dass er diese Nacht als Beerdigung des Stabilitätspakts in Erinnerung behalten wird. „Ich bin mehr als enttäuscht. Die Finanzminister haben einen sehr großen Fehler gemacht. Ihre Entscheidung bedeutet, Geist und Regeln des Stabilitätspaktes zu ändern“, sagte Solbes ins ZDF-Mikrofon.

Auf dem Pressepodium würdigte er den italienischen Vorsitzenden des Finanzministerrats, Giulio Tremonti, keines Blickes. Der bezeichnete den nächtlichen Kompromiss als „technisch-politisch positive und kohärente Lösung, die mit dem Vertragsrahmen und der Auslegung des Paktes vereinbar ist“. Wie im Lauf des Tages auf den Fluren des Ratsgebäudes durchsickerte, sollen ursprünglich acht Länder dafür gestimmt haben, die im Pakt vorgesehene Prozedur fortzusetzen und verschärfte Sparauflagen für Deutschland und Frankreich zu beschließen.

Im Vorfeld war nur sicher, dass die Niederlande, Österreich und Finnland versuchen würden, gleiches Recht für Große wie Kleine durchzusetzen. Völlig überraschend schloss sich Montagabend Spanien dieser Linie an. Daraus wird deutlich, dass der Streit weit über die Frage hinausgeht, wie der Stabilitätspakt auszulegen ist. Auch in der Regierungskonferenz, die eine neue EU-Verfassung ausarbeitet, macht sich zunehmend Ärger über die deutsch-französische Arroganz und Bündnistreue breit. Das hat spanische, polnische und britische Abwehrreaktionen provoziert.

Hans Eichel machte einen ernüchterten Eindruck, als er das Ergebnis der Nachtsitzung am Dienstagmittag verteidigte. „Man darf sich nicht gegenseitig quälen, darüber bestand bisher Einigkeit. Als Finanzminister bin ich verpflichtet, Schaden von meinem Land abzuwenden. Weitere Auflagen würden den schwachen Konjunkturaufstieg gefährden. Die Kommission hätte wissen müssen, dass sie keine Mehrheit im Rat hat, und hätte andere Empfehlungen ausarbeiten können.“

Deutschland hatte eine Abstimmung über die Kommissionsempfehlung eigentlich verhindern wollen. Deutsche Diplomaten hatten im Vorfeld lanciert, außer Österreich und Holland sei niemand für die harte Linie von Pedro Solbes, deshalb sei eine Abstimmung überflüssig. Der belgische Finanzminister Didier Reinders berichtete dagegen, nur Luxemburg, Portugal, Frankreich und Italien hätten den Kommissionsvorschlag blockiert. Damit sei die erforderliche qualifizierte Mehrheit nur knapp verfehlt worden.

Nach Mitternacht hatte die italienische Präsidentschaft die Plenartagung unterbrochen und in Zweiergesprächen nach einem Kompromiss gesucht. Nach vier Stunden einigten sich die Minister auf die Sparziele, die Deutschland ursprünglich zugesichert hatte: 0,6 Prozent Schuldenabbau im kommenden Jahr und 0,5 Prozent für 2005. Allerdings wird diese Zusage durch den Vorbehalt eingeschränkt, die Konjunkturaussichten dürften sich nicht verschlechtern.

Hans Eichel betonte, der juristische Dienst des Rates teile die deutsche Auffassung, dass der nun eingeschlagene Weg den Buchstaben des Paktes entspreche. Pedro Solbes dagegen hält die Entscheidung der Finanzminister, das Defizitverfahren gegen Deutschland praktisch auszusetzen, für vertragswidrig. Sein Sprecher wollte gestern nicht ausschließen, dass die Kommission den Streit vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg tragen wird.

Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker verteidigte den Sinneswandel der Finanzminister. Der jetzt eingetretene Fall, dass ein Land alle Auflagen erfüllt und dennoch das angestrebte Sparziel nicht erreicht, sei im Pakt nicht vorgesehen. „Ich habe keine Lust, die Deutschen und Franzosen zu ärgern. Dafür werde ich zu Hause vier Stunden gefeiert und habe hinterher in Europa zehn Jahre lang Ärger.“

Mittelfristig müsse der Pakt geändert werden. Luxemburg zum Beispiel habe in den konjunkturell guten Jahren Rücklagen angelegt, die nun schrittweise für Investitionen ausgegeben würden. Das halte die Kommission für nicht vereinbar mit dem jetzt geltenden Stabilitätsabkommen. Dem gestressten Pedro Solbes gab der gut gelaunte Luxemburger einen freundschaftlichen Rat: „Die Kommission soll von der Palme wieder runterkommen. Darin, dass wir einen stabilen Euro wollen, sind wir doch alle einig.“

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