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Deutschland auf Kochkurs

Vor zehn Jahren galten Kochkurse als spießig. Heute zelebriert man sie als Happening. Die Kochlust boomt

VON SABINE HERRE

Meinen ersten Kochkurs machte ich vor acht Jahren im Elsass. Das Dorf war so klein, dass es mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen war, aber im Hof des Zweisternerestaurants „Auberge du Cheval Blanc“ standen Autos aus Karlsruhe und Saarbrücken. In der Küche, in der eine Brigade von zehn Köchen das Zwiebelschneiden wie einen Gottesdienst zelebrierte, durften die Kursteilnehmer kaum ein Messer anfassen. Doch wir waren ohnehin vollauf damit beschäftigt, dem Wirken des Meisters zu folgen. Sauerkraut kam hier nicht auf den Tisch. Wir bewegten uns zwischen getrüffelter und mit Gänseleber gefüllter Poularde und einem Seewolf in Blätterteig, der – und dies war der Höhepunkt – mit einer Farce aus Hecht und Hummer verfeinert wurde. Nach drei Tagen waren die Geschmacksknospen so strapaziert, dass wir uns bei der Rückfahrt mit Bratwurst und Pommes erholen mussten.

Meinen zweiten Kochkurs machte ich vor wenigen Tagen in Berlin-Mitte. In der kaum 7 Quadratmeter großen Küche stießen wir beim Rühren in Pfannen und Töpfen immer wieder an die Abzugshaube. Der Koch war ein Künstler, aber eben einer der bildenden Kunst, das Kochen hatte er sich mehr oder weniger selbst beigebracht. Seine Rezepte aber waren kaum weniger aufwändig als im Elsass. Auch hier gipfelte alles in einer Farce: Kaninchenfilet wurde im Mixer mit Eis, Sahne und Gewürzen püriert und sodann mit gebratener und flambierter Leber in ein Schweinenetz gehüllt. Die französische Hochküche ist scheint’s im Alltag von Berlin-Mitte angekommen.

Der Kochkurs in der Buchhandlung „Kochlust“ in der Alten Schönhauser Straße war kein einmaliges Ereignis. Drei bis vier Kurse pro Woche finden hier statt, und die sind schon Wochen vorher ausgebucht. 2.500 TeilnehmerInnen werden es in diesem Jahr wohl sein, schätzt Inhaberin Brit Lippold, „aber die Nachfrage ist doppelt so groß“. Doch nicht nur Berlin kocht. In Deutschlands Süden, in Singen am Bodensee, konstatiert Gesine Hitschler, zuständige Mitarbeiterin der Volkshochschule, einen Trend zum Kochen, der bereits zwei Jahre andaure. Und auch sie bietet „so viele Kurse an, wie ich kann“. In Remagen hat der Fernsehkoch Carsten Dohrs vor einem Jahr seine eigene Kochschule eröffnet. Obwohl die sechsstündigen Kurse hier mit 120 Euro mehr als doppelt so teuer wie bei „Kochlust“ oder der VHS sind, sind sie „zu 95 Prozent“ ausgebucht. Der 33-jährige Dohrs profitiert von seinen Auftritten im „Kochduell“, einer der ältesten TV-Kochsendungen. Gut eine halbe Million Menschen sehen seit 1999 den Wettstreit zwischen zwei Kochteams, doch das ist Vox nicht mehr genug. Am 8. Dezember geht eine zweite Kochshow auf Sendung, und damit ist der Sender nicht allein. Auch das Bayerische Fernsehen und RTL 2 nehmen zusätzliche Kochkurse ins Programm. Wer nichts Besseres zu tun hat, kann den Nachmittag damit verbringen, sich von einer Kulinariksendung zur nächsten zu zappen.

Fragt man nach den Ursachen für den momentanen Kochboom, taucht immer wieder ein Name auf: Jamie Oliver. Der 28-jährige Londoner Starkoch wurde vor sieben Jahren von der BBC entdeckt, als er in dem Szenerestaurant River Café die Pasta durch die Luft schleuderte. Ungewöhnlich sind weniger seine Rezepte – Oliver kocht vor allem italienisch und asiatisch – sondern die Art, wie er kocht. Wie er mit der Hand Pfirsiche in den Salat drückt, um diesen anschließend lustvoll und natürlich ebenfalls mit den Händen durchzumischen. Wie er auf jede Mengenangabe verzichtet und stattdessen seinen Zuschauern „Nimm eine Hand voll …“ zuruft. Jamies Philosophie lautet: „Jeder kann kochen.“ Die Voraussetzung dafür ist allein: Die Produkte müssen erstklassig sein.

Olivers drei TV-Kochserien, die in Großbritannien ein Publikum von sechs Millionen Zuschauern haben und beim Jugendsender RTL 2 zu den angesagtesten Sendungen zählen, sind geschnitten wie Videoclips. Alles geht mit einem unheimlichen Tempo vor sich, Kochen erscheint einfach, spaßig, genial. „Genial kochen mit Jamie Oliver“ heißt denn auch sein wichtigstes und in 53 Sprachen übersetztes Kochbuch, in Deutschland wurde es 280.000-mal verkauft.

Der Popstar unter den Köchen hat die Richtung vorgegeben, und die anderen folgen. Noch Mitte der 90er galt das Besuchen eines Kochkurses als spießig, heute inszeniert man es als Happening. „Servicetainment“ heißt das auf Neudeutsch, und da viele zu Hause nicht mehr kochen lernen, kommt der Service mit Unterhaltung gerade recht. Statt ins Restaurant zu gehen, lädt man jetzt Freunde ein. Statt Karten zu spielen, kocht man zusammen. In ist im Übrigen fast jede Kochrichtung. Dieses Jahr scheint ganz Deutschland auf dem Indische-Küche-Trip, doch jetzt in der Vorweihnachtszeit steht auch die traditionelle deutsche Küche ganz hoch im Kurs. Und: Die Liebe zum Kochtopf gibt es bei 17- ebenso wie bei 70-Jährigen. Wenngleich die Lust besonders die Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen ergriffen hat.

Falsch sind jedoch zwei häufig gehörte Gründe für den Kochboom. Mit Geiz hat er bestimmt nichts zu tun. Im Gegenteil gibt es einen Trend zu frischen, regionalen und eben teuren Grundprodukten. Und auch die These, dass nun vor allem Männer das Kochen entdecken, stimmt nicht. An den Kursen nehmen fast ebenso viele Frauen wie Männer teil. Allerdings unterscheiden sich ihre Motive. Viele Frauen kommen, um Inspiration für den Alltag zu bekommen, meint Gertrud Liebhaber, die seit 30 Jahren Kochkurse bei deutschen und französischen Sterneköchen organisiert. Dagegen seien die männlichen Teilnehmer ehrgeizige Hobbyköche, die die Küche mit dem Ziel betreten, mindestens ein Dreigängemenü zuzubereiten. Auch andere Umfragen zeigen: Frauen bevorzugen vegetarische Kochkurse, Männer wollen das Komplizierte, das Teure: Wild oder Meeresfrüchte.

Der Alltag in deutschen Küchen hat sich durch die neue Kochlust daher wenig verändert. Nach einer neuen Studie der Konsumforschungsfirma GFK kochen in vier von fünf deutschen Küchen Frauen. Nach einer anderen Untersuchung haben 70 Prozent der deutschen Männer noch nie gekocht.

Wie lange also hält die neue deutsche Lust? Wie lange werden noch Fische filetiert und Enten entbeint? Das Ganze ist ein Boom wie bei Makramee, sagt Gesine Hitschler von der VHS Singen. Jörg Müller, der seit zwanzig Jahren zu Deutschlands führenden Köchen zählt, hat von Jamie Oliver noch nie etwas gehört. Gastrokritiker Wolfram Siebeck hat für ihn nur Verachtung übrig: „Grauenhaft, wie der in seinen Töpfen rumrührt.“ Und natürlich hält so mancher gelernte Koch, das, was da im Fernsehen als Kochen ausgeben wird, nur für gut inszeniertes Theater. Doch vielleicht passt Siebeck & Co. ja vor allem eines nicht: Jahrelang haben sie sich über das Kochnivau der deutschen Haushalte beschwert und sich zugleich ihres Elitendaseins erfreut. Nun wissen immer mehr Normalsterbliche nicht nur, was ein Kalbsfond ist, sondern auch, wie man ihn zubereitet. Vor allem aber: Sie wissen, wie gut er schmeckt. Und daher werde ich sicher bald den nächsten Kochkurs buchen.

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