lexikon der globalisierung: Was bedeutet eigentlich „Risiko“?
Ein „Risiko“ ist das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß. Gemäß dieser aus dem Versicherungswesen stammenden Definition ist ein Risiko kalkulierbar, wenn für beide Komponenten eine feste Größe unterstellt werden kann. Das macht das Risiko in der Theorie objektiv bestimmbar und unterscheidet es von der Gefahr: Gefahren lassen sich nur subjektiv einschätzen.
Dass die beiden Begriffe in der Alltagssprache häufig gleichwertig gebraucht werden, findet seinen Grund allerdings nicht nur in laxer Sprachdisziplin, sondern auch in den Problemen, die sich aus diesem Risikoverständnis selbst ergeben: Dann, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit gegen null und das Schadensausmaß gen unendlich tendiert – wie zum Beispiel bei der Kernenergienutzung –, sind Risiken nicht substanziell kalkulierbar. Ebenso wenig, wenn die Fernwirkungen von Handlungen beziehungsweise aus ihnen resultierende, mögliche Schäden (noch) nicht bekannt sind. Unter diesen Bedingungen können also streng genommen keine Risiken ermittelt, sondern nur Gefahren konstatiert werden.
Wird in solchen Fällen dennoch der Kalkulierbarkeit suggerierende Begriff des Risikos verwendet, handelt es sich somit entweder um eine Fehleinschätzung oder aber um eine Verschleierungstaktik, die nicht selten einen offenen Diskurs über mögliche Gefährdungen (etwa durch einer Technik) behindern möchte.
Vor diesem Hintergrund muss man im Kontext der Globalisierungsdebatte zwischen verschiedenen Risikotypen unterscheiden. Zum einen finden sich hier „echte“ und „unechte“ Risiken: Echte Risiken lassen sich in ihrer Größe sinnvoll ermitteln (wie das Welthungerrisiko), unechte Risiken entstammen eher diffusen Prognosen (wie das angebliche Risiko eines Zusammenpralls der Kulturen).
Zum zweiten ist zu unterscheiden zwischen: Risiken, die durch die Globalisierung entstehen – wie etwa das Ungleichgewicht zwischen einer rasanten Globalisierung der Wirtschaft auf der einen Seite und einer zähen Globalisierung politischer Institutionen zur Regulierung dieser Wirtschaft auf der anderen Seite. Und Risiken für die Globalisierung: Solche entstehen etwa dann, wenn Globalisierung auf ein wirtschaftliches Projekt verkürzt wird und aus dem Blick gerät, welche vielfältigen kulturellen Räume sich eröffnen, sobald eine sich in ihrer Pluralität bejahende Menschheit an der Gestaltung einer humanen Welt zusammenwirkt. JENS BADURA
Das Lexikon der Globalisierung erscheint immer montags in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac.
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