AUSSTELLUNG: Fenster zur Farbe
VORHER-NACHHER: Erstmals überhaupt und weltweit zeigt das Sprengel-Museum in Hannover wie August Macke, Franz Marc und Robert Delaunay von 1910 bis 1914 gemeinsam und doch getrennter Wege das Licht der Welt in seinen Brechungen suchten. Eine Ausstellung die zeigt, wie sich eine Idee im Schaffen ihren Weg bahnt
So lebten die Künstler
■ August Macke, geboren 1887 in Meschede bei Köln 1910 Beginn der Freundschaft mit Franz Marc 1914 südlich von Perthes-les-Hurles (Champagne) im Gefecht gefallen
■ Franz Marc, geboren 1880 in München 1910 Beginn der Freundschaft mit August Macke 1916 bei Verdun von Granatensplittern getötet
■ Robert Delaunay, geboren 1885 in Paris 1910 Heirat mit Sonia Uhde-Terk 1941 gestorben in Montpellier
■ Sonia Delaunay-Terk, geboren 1885 in Gradizsk (Ukraine) 1910 Heirat mit Robert Delaunay 1979 gestorben in Paris
AUS HANNOVER BENNO SCHIRRMEISTER
Olle Kamellen, eigentlich. Dass Robert Delaunays Fensterbilder und sein prallbunter Gegenentwurf zum beige-braunen Kammerton des Kubismus auch deutsche Maler der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beeinflusst hat – das weiß man, kunsthistorisches Interesse vorausgesetzt. Dass dabei in erster Linie Franz Marc und August Macke zu nennen sind – ein Gemeinplatz. Aber eben: Etwas aus Büchern zu kennen ist das Eine. Das Andere ist etwas zu sehen, also, gerade in der Kunst: wirklich zu erleben, diese plötzliche, explosive Übernahme und Fortschreibung.
Und das war noch nie möglich. Bis jetzt: Erstmals überhaupt und weltweit zeigt das Sprengel-Museum Hannover eine Synopse von Marc, Macke und Delaunay, die den Verlauf dieses intimen Zusammenspiels nachstellt. Und so den Einfluss verstehbar macht. Aber auch mehr als bloß ahnen lässt: Dass sich Delaunay so rabiat-schnell vom Mittelklasse-Impressionisten zum Top-Avantgardisten gemausert hat, kam auch nicht von selbst – da war ja noch Sonia Delaunay-Terk, seine Frau, die schon radikal war, als er sie 1907 kennen lernte. Sogar er selbst, sonst eher Macho, hat sie später die „Künstlerin“ genannt, „die das alles verändert“ – als er über sein Malen schrieb.
Die Ausstellung trägt den sachlichen Titel „Marc, Macke und Delaunay“, im Untertitel wird’s dann lyrischer: „Die Schönheit einer zerbrechenden Welt“ lautet er. Und zieht doch zugleich eine strenge zeitliche Grenze: 1910, das Jahr in dem sich Marc und Macke begegnen, bis 1914, dem Ende aller freundschaftlichen Beziehungen. Macke stirbt in den ersten Kriegsmonaten, Marc wird 1916 von einem Granatsplitter bei Verdun getroffen, die Delaunays retten in Spanien ihr Leben.
Vier Jahre also. Und zwar vier Jahre einer faszinierenden Suchbewegung, die sich in Hannover durch eine fulminante Vorher-Nachher-Hängung zeigt. Erster Raum: Frühe August Macke-Bilder, getupfte Gartenszenen, Mutter mit Kind an Rabatten, und derlei. Zweiter Raum: Franz Marc, pastöse sibirische Schäferhunde à la Liebermann, rote Katzen, weiße Katzen. Und dann: Robert Delaunay. Die von der facettierten, tanzenden Tour Eiffel überragte Stadt, die in Schwingung versetzten Spitzbögen der Cathédrale Saint Séverin und: Paris komplett zerlegt in farbige Prismen, Reflexe auf „Fenêtres ouvertes simultanément“ – also simultan geöffneteten Fenstern – so ein Bildtitel von 1912.
In diesem Jahr besuchen Macke und Marc gemeinsam die Delaunays. Sie sind geschockt, frappiert – überwältigt. Und reagieren. In Bildern, suggeriert die Ausstellung, legen das die Briefwechsel nahe: „Ich freue mich sehr über Ihre Bilder“, schreibt Macke nach Frankreich, euphorisch rühmt er der Delaunays Fähigkeit „das Seltsame der Wirklichkeit“ zu vermitteln und bittet Sonia, auch treu zu übersetzen. Und malt ein „Großes helles Schaufenster“, um dessen ruhig aufragende Hauptfigur im Goldenen Schnitt, eine Dame in pelzbesetztem Mantel, eine sich zu den Rändern hin immer mehr in farbig-kontrastierende Würfel, unregelmäßige Dreiecke und Ikosaeder zerlegende, seltsame Wirklichkeit tobt. Kein Zweifel: Macke, der die zahllosen -Ismen der Kunst seiner Gegenwart als Ausdruck „des Neuen“ begrüßt, aber den Anspruch auf absolute Vorherrschaft, die jeder einzelne erhebt, als „Blödsinn“ bezeichnet, hat sich Delaunays Orphismus angeeignet und als Bereicherung des eigenen malerischen Vokabulars, für seine Zwecke passend gemacht.
Bei Marc ist der Einfluss auch erkennbar. Aber: Er tut sich damit etwas schwer. Während sich der 25-jährige Rheinländer in eine Schülerrolle gegenüber dem nur zwei Jahre älteren Delaunay begeistert stürzt – lässt sich bei Marc eher eine Verunsicherung ausmachen. In seinen Briefen pflegt er schon vor dem Besuch einen motzig-rechthaberischen Ton, unentspannt wirkt auch seine Malerei danach: Es entsteht eine „Alpenszene (Streuhocken)“, die auch „Birnenkompott in Industrielandschaft“ heißen könnte, er unternimmt tastende Rückgriffe aufs eigene Formen-Repertoire, seine Wälder bekommen unmotivierte Zacken und ein weißer Hund hockt so melancholisch vor der Welt, dass Walt Disney seine helle Freude daran gehabt hätte: Nichts gegen Tiermalerei, aber hier ist die Schwelle zum Kitsch für einen Moment doch furchtbar nahe.
Die Ausstellung zeigt das ungeschönt. Sie kapriziert sich nicht auf Best-offs, erlaubt Heiterkeitsausbrüche beim „Hund vor der Welt“, sucht obskure Nebeneinflüsse, gewichtet manche Skizzen stärker, als anerkannte Meisterwerke. Das verleiht ihr einen erzählerischen Drive. Und macht ihren Reiz aus: Mitzuverfolgen, nachzuvollziehen, wie sich eine Idee im Schaffen von sehr unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten ihren Weg bahnt, bis sie auf die Spitze getrieben ist – und, gegebenenfalls, wieder verflacht.
So ist klar, dass auch Marc – nach rund einem Jahr die farbigen Kuben souverän einsetzt. Ebenso leicht lässt sich feststellen, dass er den zweiten Besuch bei den Delaunays besser produktiv machen kann als Macke: In Paris lernen sie 1913 die„Formes Circulaires“ der Delaunays kennen, spektralanalytische, gegenstandslose Kreisformen. In Ölfarbe auf Leinwand und in Farbkreide auf Papier.
Mackes sporadische Ausflüge in diese „reine Malerei“ – trotz oder wegen seiner unvergleichlich leuchtenden Farben – bleiben dort, wo sie Werk sein wollen und nicht mehr Entwürfe und Studien. Dagegen vermutet Kuratorin Susanne Meyer-Büser, dass Marcs Weg wohl hier, in der Abstraktion der „Kleinen Kompositionen I-III“, hätte weiter geführt werden müssen. Wenn er denn nicht durch einen Granatsplitter beendet worden wäre.
Wobei solche imaginären Fortsetzungen in der Kunstgeschichte eher verschämte Werturteile sind. Echte Ableitungen sind dagegen unmöglich. Weil die erreichten Standpunkte Etappen sind auf einer Expedition ins Unbekannte, deren Richtung sich jederzeit und urplötzlich hat ändern können. Womit man endlich beim Stichwort „verflachen“ angelangt wäre: Der arme Robert Delaunay verschafft sich diesen traurigen Abgang und zwar im großen Stil: 195 mal 205 Zentimeter misst sein Lesender Akt von 1915 in der großen, 140 mal 142 in der kleinen, noch etwas blaustichigeren Ausfertigung. Wie Reminiszenzen an eine bessere Zeit rollen in ihnen Farbkreise durch den Bildhintergrund, andere sind dazu verdammt, Pobacken und Brüste der rothaarigen Nackten zu modellieren. Wahrscheinlich musste dringend Geld ran.
Oder wäre es weil…? Das lässt sich so nicht entscheiden. Fakt ist, dass sich bei Sonia Delaunay-Terk solche Verfallserscheinungen nicht finden. Und dass sie sich zeitgleich mit Robert, oder sogar früher, vom Gegenstand löst, oder besser – das elektrische Licht und seine farblichen Brechungen als ihren Gegenstand erkundet. Ganz wörtlich, auf den nächtlichen Boulevards, wo sie die Lichthöfe der Straßenlaternen mit Kreide auf Papier bannt. Um aus diesen Studien elektrisierende Gemälde zu gewinnen, ineinander verschränkte, farbige Bögen, die Tänzer sein könnten aber auch nur angedeutete Kreise auf weißem Grund, „Tango-Magic-City“ von 1913 etwa, oder die Papierarbeit „Les prismes électriques“. Mit dem Filmraum spielt die Ausstellung in 13 Sälen, einer ist für Sonia Delaunay-Terk reserviert. Und der wirkt, aber das kann ja wohl nicht die kuratorische Absicht gewesen sein, als läge hier ihr eigentlicher schöpferischer Kern.
Sprengel-Museum, Hannover: Marc, Macke, Delaunay – Die Schönheit einer zerbrechenden Welt (1910-1914). Bis 19. Juli
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