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Justiz im Verzug

Faulheit oder Gründlichkeit? In Baden-Württemberg hat die Staatsanwaltschaft einen Jugendrichter verklagt, der in einigen Fällen jahrelang ermittelt hat

FREIBURG taz ■ In der baden-württembergischen Justiz geht es rund. Staatsanwälte schreiben Anklagen gegen Richter, und Richter zeigen Staatsanwälte an.

Ausgelöst wurde der Tumult durch die Mannheimer Staatsanwaltschaft. Sie erhob 2001 Anklage gegen den Mannheimer Jugendrichter Hans Georg Stratmann wegen Strafvereitelung im Amt. Der Vorwurf: Stratmann war in 21 von ihm zu bearbeitenden Fällen stark im Verzug, teilweise lagen die Akten jahrelang auf seinem Schreibtisch.

Ihm wurde allerdings nicht unterstellt, er wolle so bestimmte Täter bevorzugen. Auch war in keinem Fall Verjährung eingetreten. Die Staatsanwälte fanden aber, dass auch ein stark belasteter Richter nicht einfach „Dienst nach Vorschrift“ leisten dürfe.

Das Verfahren endete schnell, denn das Landgericht Mannheim ließ erst gar keine Hauptverhandlung zu. Seine Begründung lautete, wegen der richterlichen Unabhängigkeit könne Strafvereitelung nur dann vorliegen, wenn sich ein Richter zugleich wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht hat. Hier bestehe eine Sperrwirkung.

Die Staatsanwaltschaft meinte, dass dies bei bloßer Untätigkeit nicht gelten könne. Justizminister Ulrich Goll (FDP) sah keinen Grund zum Eingreifen, da die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft vertretbar sei.

Inzwischen hat sich der Streit weiter zugespitzt. Die zuständigen Mannheimer Staatsanwälte wurden wegen „Verfolgung Unschuldiger“ angezeigt. Anzeigenerstatter ist wiederum ein Richter: Thomas Schulte-Kellinghausen vom Oberlandesgericht Karlsruhe. Unterstützt wird er von der liberalen Neuen Richtervereinigung. Sein Vorwurf: Hier werde ein besonders gründlicher Kollege stellvertretend zur Abschreckung aller verfolgt, um die letzten Reserven einer überlasteten Justiz zu mobilisieren.

Richter Stratmann hat den Druck nicht mehr ausgehalten und ist inzwischen in den vorzeitigen Ruhestand gegangen.

CHRISTIAN RATH

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