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„Die ganze Stadt ist hier“

SCHULDEMO Die Veranstalter der Anti-Primarschuldemo verwahren sich dagegen, nur aus feinen Stadtteilen zukommen. Überraschungs-Gegendemo verzögerte den Start

„Die haben mir gesagt, geh’ für Hartz-IV-Empfänger kochen und gib deine Perlenkette her“

VON KAIJA KUTTER

Die mit Spannung erwartete Anti-Primarschuldemo am Samstag war mit rund 4.000 Teilnehmern ein mittlerer Erfolg für die Organisatoren. Es kamen viele Eltern mit kleinen Kindern, einige von ihnen hatten Hasenohren am Kopf und trugen T-Shirts mit der Aufschrift: „Wir sind keine Versuchskaninchen“.

War es nur die Gymnansiums-Klientel, die vom Gänsemarkt zum Rathaus zog? Soweit es die Schilder erkennen ließen, waren Stadtteile wie Winterhude, Eppendorf, Othmarschen, Poppenbüttel und Uhlenhort vertreten. „Die ganz Stadt ist hier“, rief dagegen ein als Moderator eingeteilter Vater vom Demo-Laster. Mit Mariusz Rejmanowski erhielt ein Vater aus Wilhelmsburg als Erster das Wort, der den Grünen falsche Versprechungen vorwarf. „Schauen wir uns an, was in Wilhelmsburg nach der Reform geplant ist“, sagte er. „Nach wie vor wird es nur ein Gymnasium geben.“

Der Verdacht, dass die grüne Schulpolitik weniger Kinder zu Gymnasium und Abitur führen wird, zog sich durch alle Reden. Als es dann losging, sagte der Moderator: „Wir müssen jetzt etwas üben, was wir bisher nicht getan haben: nämlich skandieren.“ Und sprach vor: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut.“

Doch der Zug geriet bald ins Stocken. Am Neuen Jungfernstieg, eben dort, wo Fotografen auf Leitern standen, um die ganze Demo zu knipsen, stellte sich eine 50-köpfige Schülerdemo mit Transparent ins Bild: „Eine Schule für alle statt Bildungseliten“. Dazu verteilten sie Flugblätter für den „Bildungsstreik 2009“. Die Gruppe hatte erst im Herbst eine große Schülerdemo durch die Innenstadt organisiert.

„Wir sind Schüler, wer seid ihr?“, skandierten die jungen Leute mit Blick auf die Primarschul-Gegner an der Demo-Spitze. Während die Polizei zunächst hilflos dazwischen stand, kam es zu Diskussionen. „Die waren richtig aggressiv“, wandte sich danach eine elegant gekleidete Frau an Journalisten. „Die haben mir gesagt, geh’ für Hartz-IV-Empfänger kochen und gib deine Perlenkette her“.

Schließlich drängte die Polizei die Gruppe zur Seite, nahm die Personalien von zwei Schülern fest und erteilte Platzverweise. „Sie können spontan demonstrieren“, befand ein Polizist. „Aber nicht auf dem Weg der angemeldeten Demo.“ Nach nur wenigen Schritten erreichte die große Demo den Rathausmarkt, wo SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Ernst die Abschaffung des Elternwahlrechts kritisierte. Schon heute seien die Empfehlungen der Grundschulen oft falsch. Es sei „skandalös“, wenn künftig „eine staatliche Schulbürokratie über die Köpfe von Eltern und Schülern hinweg diese Entscheidung abschließend und alleine treffen wird“.

Ernst trifft hier einen Nerv. Die Abschaffung des Elternwahlrechts irritiert auch Eltern, die mit der Primarschule sympathisieren. Allerdings sieht auch das von der SPD favorisierte „Zwei Säulen Modell“, das nach Klasse 4 die Kinder auf Gymnasien und Stadtteilschule aufteilt, ein Elternwahlrecht nach Klasse 6 nicht vor. Auch in diesem Modell entscheidet dann die Schulbürokratie.

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