: Rumsfeld besucht die Nordallianz
Der US-Verteidigungsminister appelliert an die afghanischen Kriegsherren Dostum und Atta, ihre Milizen aufzulösen. Doch in der Grenzregion zu Pakistan zeichnen sich neue Spannungen ab. Kabul wirft Islamabad die Unterstützung der Taliban vor
von BERNARD IMHASLY
Kurz nach der Abreise von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aus Kabul ist dort gestern Abend nahe der US-Botschaft eine Rakete eingeschlagen. Verletzt wurde nach ersten Erkenntnissen niemand; vermutet wurde, dass es sich um einen gezielten Anschlag auf die Botschaft handelte. Zuvor hatte Rumsfeld bei seinem eintägigen Afghanistan-Besuch die rivalisierenden Kriegsherren in Nordafghanistan zur Auflösung ihrer Milizen gedrängt.
Er habe Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed gestern in Masar-i Scharif zugleich für ihre Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus gedankt, berichtete die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP. Dostum und Atta gelten als Anhänger der Zentralregierung unter Präsident Hamid Karsai. Die Regierung hat außerhalb der Hauptstadt Kabul kaum Einfluss.
Rumsfeld hatte bei einem Besuch im Mai das Ende der „größeren Kampfhandlungen“ erklärt. Seit August jedoch haben Angriffe islamistischer Rebellen wie der Taliban im Südosten und Osten des Landes deutlich zugenommen. Vor allem das Wiedererstarken der Taliban im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan belastet die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Kabul verdächtigt seinen Nachbarn, bei der Bekämpfung von al-Qaida und den Taliban zweierlei Maß anzuwenden: Al-Qaida werde eifrig verfolgt. Aber der Taliban bediene sich Pakistan, um wie früher Einfluss auf Afghanistan zu nehmen.
Letzte Woche zitierte Karsai Berichte, wonach Taliban-Führer Mullah Omar in einer Moschee in Quetta, der Hauptstadt der Grenzprovinz Balutschistan, beim Gebet gesehen worden sei. Er verband dies mit der direkten Aufforderung an seinen Amtskollegen Pervez Musharraf, der Rekrutierung von neuen Kämpfern durch die Taliban im pakistanischen Grenzgebiet ein Ende zu setzen.
Die Regierung in Islamabad reagierte rasch und scharf. Informationsminister Sheikh Rashid bezeichnete Karzais „Unterstellung“ als Unsinn und riet ihm, sich stattdessen der Innenpolitik zu widmen. Diesen Ton wiederum ließ sich Kabul nicht gefallen. Omar Samad, der Sprecher des Außenministeriums, zeigte sich erstaunt über die schnelle Reaktion aus Islamabad und fragte, ob die pakistanischen Behörden etwa wüssten, wo sich Mullah Omar aufhält, wenn sie dessen Präsenz in Quetta so dezidiert in Abrede stellten.
Der Ton glich dem seines Chefs, Außenminister Abdullah Abdullah, der kürzlich in Washington Pakistan verdächtigte, Rekrutierung und Ausbildung von Taliban-Einheiten in den beiden Westprovinzen hinzunehmen. Die Islamschüler verkündeten ihre Überzeugungen in Quetta öffentlich aus Lautsprechern, und die pakistanische Grenzpolizei winke mit Taliban beladene Busse über die Grenze.
Die USA sahen sich genötigt einzuschreiten, um eine Verschärfung der Spannungen zu verhindern. Das US-Außenministerium stellte dem Verbündeten Pakistan erneut ein gutes Leumundszeugnis aus – die Regierung dieses Schlüsselstaats im Krieg gegen den Terror soll auf Linie gehalten werden.
Kabul behagen diese diplomatischen Finessen schon deshalb nicht, weil hinter der Politik Pakistans eine Neuauflage der früheren Afghanistanpolitik vermutet wird. Demnach hat Islamabad noch nicht verwunden, dass die Indien-freundliche Nordallianz, die Pakistan jahrelang wegen der Unterstützung der Taliban kritisiert hatte, siegreich war. Wie vor sieben Jahren lässt Pakistan daher die Taliban über die Grenze ausschwärmen, um den verlorenen Einfluss wieder geltend zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen