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Nach dem Bild ist vor dem Bild

Wie viele Sammler hat Wilhelm Schürmann mit einem leeren Platz über dem Sofa angefangen. Inzwischen versteht er sich als „Chefredakteur“ einer wichtigen Sammlung zeitgenössischer Kunst. In dem Buch „Sammlerlatein“ gibt er Auskünfte über die Ideen, die das Horten von Kunstschätzen leiten

VON BRIGITTE WERNEBURG

Sammler zeitgenössischer Kunst haben Konjunktur. Wurden zuvor die Kuratoren als die geheimen, aber wahren Machthaber des Kunstbetriebs kritisch unter die Lupe genommen, das heißt in Interviews, opulenten Porträts und Homestorys gefeiert, hat jetzt der Hype den Sammler erfasst, der in nämlicher Rolle vermutet wird. Staatliche Museen sammeln auch nicht mehr Kunst, sondern gleich Sammler, wie der Öffentlichkeit stolz beschieden wird.

Ein anderes Anzeichen dieser Entwicklung liefert der Architectural Digest. Die Wandlung der Zeitschrift für den gehobenen Wohnkomfort in eine klandestine, gleichwohl einflussreiche Kunstzeitschrift verdankt sich nicht zuletzt ihren Sammlerreportagen. Inmitten der glatten Interieurs, deren Eiseskälte noch immer der Moderne geschuldet ist, und inmitten der barocken Pracht einer aus allen Zeiten und Stilen zusammengesuchten Üppigkeit, die einem die Luft zum Atmen raubt, gibt die Gegenwartskunst den Sammlerwohnungen einen überraschend lebendigen und erfreulich frischen Appeal. Zeichnet die Sammler womöglich unbefangene Neugierde und intellektuelle Behändigkeit aus? Zeigt ihr Wille zur Distinktion inmitten des sonst ausgestellten faden Reichtums nicht geradezu Biss?

Auch Wilhelm Schürmann hat mit dem Bild über dem Sofa angefangen. Das Haus war gebaut – und dann stellte sich heraus: Die Wand im Wohnzimmer war frei. „Und da hängt man Kunst hin. Und Kunst hieß Bild“, sagt Schürmann im Gespräch mit dem Galeristen Christian Nagel anlässlich der Ausstellung „temporary translation(s)“ in den Hamburger Deichtorhallen, wo Schürmann 1994 seine Sammlung ausstellte. Das Gespräch ist in Schürmanns Beitrag zur Statement-Reihe des Regensburger Verlags Lindinger + Schmidt wieder abgedruckt. Die Selbstauskünfte der Sammler gelten hier freilich dem schwierigeren Part des Hypes. Es geht um Ideen, die das Horten der Kunstschätze leiten.

Schürmann etwa hält nichts von einer gültigen Präsentation, und er misstraut dem Einzelwerk. Der Fotogalerist der ersten Stunde – in den 70er-Jahren war er auch als strenger, aber einfallsreicher Fotodokumentarist deutscher und belgischer Wohn- und Gewerbegebiete bekannt – ist nun seit langem schon Hochschullehrer in Aachen. Er sieht sich, wie er sagt, „als Chefredakteur“ seiner Sammlung, die er immer wieder umschreibt, kürzt, ergänzt, redigiert und neu editiert. Die Arbeiten – Installationen, Gemälde, Plastiken, Fotos, Plakate, selbst Gadgets des medialen Merchandising – werden umgestellt, Plätze und Positionen getauscht. Nur in ihrem (immer wieder anderen) Kontext erschließen sich die Werke und finden zur (immer wieder neuen) Sammlung zusammen, die stets von einer erzählerischen Idee unterfüttert ist, die gern als assoziationsreiche Headline daherkommt. Schürmann verfügt, wie sein „Sammlerlatein – Aus der Welt der Bilder“ zeigt, auch über eine „Titelsammlung“.

Das alles ist wenig klassisch, jedenfalls was die moderne Idee der Sammlung betrifft, die das autonome Kunstwerk fetischisiert – und so bereichert Schürmann die Erscheinung des Sammlers um interessante Facetten. Da wäre zum Beispiel das gewöhnliche Einfamilienhaus in der Provinz, das gegen die weitläufige Etage eines Großstadtlofts steht. Hier stellte sich bald heraus: Das Sofa passt nicht zum Bild. Also flog es raus. „Selbstjustiz durch Fehleinkäufe“, zitiert Schürmann dazu Martin Kippenberger, der für ihn „der geistige Türöffner für den Umgang mit bildender Kunst“ wurde, als sich beide 1982 in Berlin begegneten. Schürmanns Begeisterung für Kippenberger, den Künstler als Rezeptionsästhetiker, ist ungebrochen. Seine Ausstellung „Peter – Die russische Stellung“ 1987 bei Max Hetzler zeigte Schürmann, wie wirkungsvoll die dichte Konfiguration von Kunstwerken sein kann; das Abstellen statt Ausstellen, wie Beuys einmal sagte. Seither baut Schürmann an seiner „Wohnzimmer-Skyline“, die gleichwohl nicht für den Raum, sondern für den Kopf entworfen wird.

Da ist das Foto von Konrad Lorenz mit den Graugänsen, dem Schürmann lange nachspürte. Für Schürmann definiert das Bild die moderne Ikone. Die Graugänse folgen Lorenz, auf den sie in ihren ersten Lebensstunden geprägt wurden, als sei er ihre leibliche Mutter. „Wir folgen den Bildern Hollywoods, der Medien oder der Kunst. Sie erzeugen Nachbilder. Nach dem Bild ist vor dem Bild.“ Und so schwimmen wohl auch die Sammler anderen Sammlern hinterher. Und schauen sich ihre Lofts voneinander ab, bis dahin, „dass in einer bestimmten Zeit in jedem Schlafraum über dem Bett ein Eric Fischl hing“. Ergänzend möchte man also meinen, es sei nicht schwer zu raten, wer die prägende Gestalt war, wenn Schürmanns Sammlung heute dennoch in vielen Positionen – etwa Franz West, Jeff Koons, Jason Rhodes, Raimond Petitbon und Mike Kelley – der von Friedrich Christian Flick gleicht.

Schließlich ist da noch das Netz, die Suchmaschine und eBay, das Schürmanns etwas anderen Sammlungsstil unterstützt. Die Nachforschungen zu einer Arbeit von Cady Noland über Patti Hearst – in ihrer Terroristenzeit Tania nach der Gefährtin Che Guevaras genannt – führen zu einem Spielzeugauto, auf dessen Kühlerhaube das berühmte Che-Porträt prangt. „Ich finde dieses ,Nomad‘-Modell, weil es ein Chevrolet ist. Kein Kalauer! Der Anbieter firmiert unter dem Decknamen ‚Chevolution‘.“ Solche verqueren Zusammenhänge freuen den Chefredakteur, der eine neue Story hat. Und sie führen zum Vorwurf der Eitelkeit, die Schürmanns marodierenden visuellen Essayismus befeuere, wie ein Kritiker bemängelte. Doch der Stolz auf die Brillanz des eigenen Gedankens, der aus der Regelverletzung gewonnen wird, bringt das Potenzial zum Vorschein, das Sammeln jenseits „derselben 40 oder 50 Namen“ haben kann.

Wilhelm Schürmann: „Sammlerlatein“. Lindinger + Schmidt, Regensburg 2004, 168 Seiten, 15,80 €

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