piwik no script img

JENNI ZYLKA über PEST UND CHOLERAPelle und sein Pseudonym

Von clever gewählten Künstlernamen und gefährlichen Stadtvierteln, vor allem an Weihnachten

Gibt es einen besseren Künstlernamen als „Howlin’ Pelle Almqvist“? Vermutlich nicht. Howlin’ Pelle ist der Sänger der Hives, einer skandinavischen Garagenband, die zusätzlich zu diesem unglaublichen Künstlernamen auch noch ziemlich gut ist. Aber was sollte man von jemandem, der sich Howlin’ Pelle nennt, auch anderes erwarten.

In der Woche, in der ich begeistert den Namen des moderat kleinwüchsigen, jedoch durchaus attraktiven Sängers auf der CD-Hülle las, erfuhr ich zufällig noch von zwei anderen interessanten Namen. Der eine ist „Honk Williams“, so heißt eine Countryband aus Hamburg, die mit der Ansage „Wir sind Honk Williams, die längste Band der Welt – keiner unter 1,90 m“ schnell mein Herz eroberte. Als einen honk bezeichnet man im Angelsächsischen einen stämmigen Mann. Wenn also drei riesengroße Countrymusiker sich „Honk Williams“ nennen, ist das so schön, dass man sich ruhig ein paar Tage darüber freuen kann.

Der andere Name, der dieser Tage meine Aufmerksamkeit erregt hat, ist der Name des Moderators eines obskuren mitteldeutschen Mittelwellenradiosenders namens „Radio Brocken“, den ich auf einer langsamen Nachtfahrt durch die Republik kennen lernen musste – mein Autoradio empfing nichts anderes.

„Guten Abend, hier sind die Radio Brocken-Nachrichten, ich bin Jeffrey Hübner“, sagte der arme Kollege. Jeffrey Hübner ist zwar nicht ganz so schlimm wie Mandy-Nancy Pappke, aber schon auf dem Weg dorthin. Wie will der Mann denn bloß Karriere machen, wie das internationale Parkett erklimmen, wie auf der Medienklaviatur spielen? Howlin’ Pelle Almqvist zum Beispiel ist der Erfolg garantiert. Er wird sich schon bald sämtliche Musikpreise in seine Ikea-Regale stellen können. Jeffrey Hübner dagegen wird bei „Radio Brocken“ sitzen bleiben. Man wird ihn beim Abwerben schlichtweg vergessen. Sag ich mal. Sicher bin ich natürlich nicht. Doch dem alten und leidenschaftlich diskutierten Linguistenproblem, ob das Ding seinen Namen durch Aussehen, Klang oder Eigenschaft bekommen hat oder durch abstrakte ethnolinguistische Entwicklungen (das an anderer Stelle bereits ausführlich behandelte „Baum-Axt-Problem“; wen es wirklich interessiert, dem schicke ich mit Vergnügen noch mal Infos zu), wird die Verfolgung der beruflichen Laufbahn eines Jeffrey Hübner eventuell ein wenig auf die Sprünge helfen.

Und es kann doch kein Zufall sein, dass die geizigsten Pensionswirte, bei denen ich je ein Zimmer bezog, ausgerechnet den Namen „Weniger“ trugen. Oh ja, die Pension Weniger auf Borkum. Dort gab es zum Frühstück ENTWEDER eine Scheibe Käse zum Brötchen ODER ein Ei.

Nicht alle Pensionswirte, um trotzdem jetzt – holterdiepolter! – die Themenrichtung nur um ein paar Grad zu drehen, sind geizig und bös. Der Vermieter meiner Freundin zum Beispiel, die vor ein paar Monaten eine kleine Wohnung in einem in der öffentlichen Meinung als recht gefährlich geltenden Berliner Stadtteil bezogen hat, ließ eine Extra-Klausel in den Mietvertrag aufnehmen, die besagt, dass „der Mieter unverbindlich darum gebeten wird, von Anfang Dezember bis zum 6. Januar den Balkon und/oder die Fenster zur Straße mit weihnachtlichen Lichterketten und/oder blinkenden Leuchtsternen zu schmücken“.

Ich habe mir den Vertrag zeigen lassen, weil ich es nicht glauben konnte. Meine Freundin hat sich letzte Woche schnell eine Billiglichterkette besorgen müssen, um nicht auf die Abschusskündigungsliste zu geraten, sie wohnt sehr gerne in jenem gefährlichen Stadtteil. Ich habe natürlich gleich Filzverbindungen zur Berliner Stromversorgungsgesellschaft vermutet, meine Freundin glaubt aber, dass der Vermieter es einfach nur beschaulich mag und dass ihm an der Aufwertung des Stadtteils, vor allem zur Weihnachtszeit, gelegen ist.

Als ob man mit etwas Weihnachtsdeko von tief fliegenden Pistolenkugeln und schon zur ersten Pause betrunkenen und zugekoksten PrimanerInnen ablenken könnte! Aber süß ist die Klausel irgendwie trotzdem.

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST UND CHOLERA Fragen zum Pseudonym? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen