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Offensiv mit Elektronik

Köln startet Gegenmesse zur Popkomm, die nach Berlin abwanderte. Doch eigentlich lag die Idee zu dem neuen Elektro-Pop-Festival schon lange in der Schublade

„Schon lange ist in Köln darüber nachgedacht worden, ein Elektro-Pop Festival zu veranstalten“

von Boris R. Rosenkranz

Köln stürmt in die Offensive. Kurz nachdem die nach Berlin umgezogene Musikmesse Popkomm in der vergangenen Woche ihr Konzept für 2004 vorgestellt hatte, legten die Rheinländer beim NRW-Kulturwirtschaftstag im Palladium nach: Ein zweiwöchiges Festival für elektronische Musik mit integriertem Kongress, namentlich „c/o pop“, soll die Popkomm in Köln ersetzen. Neuanfang oder Trotzreaktion? Von Trotz will Manfred Post, der Kölner Referent für Popularmusik, nichts wissen. Schon lange sei darüber nachgedacht worden, ein solches Festival zu veranstalten: „Jetzt haben wir halt die nötige Medienfläche, es umzusetzen“, sagt er der taz. Außerdem gäbe es in in der Stadt eine sehr agile Elektro-Pop-Szene. Dieser Sparte eine Plattform zu bieten, sei längst überfällig gewesen. So wird die Musikindustrie im August 2004 in die Domstadt pilgern und dort zu einem intimen Treffen zusammenkommen, Club-Konzerte, diverse Partys natürlich und ein Fußballturnier veranstalten. Auch das Ringfest, das schon zu Popkomm-Zeiten ein Millionenpublikum vor mehrere Bühnen lockte, bleibt der Stadt erhalten. Gegen die Abtrünnigen gibt‘s am Rhein reichlich Seitenhieben. Wichtigstes Ziel ist VIVA-Chef und Pokomm-Kopf Dieter Gorny, der unlängst erklärte, Berlin sei das neue Zentrum für Musik. Eine These, die sich die Kölner anfangs nicht bieten lassen wollten. Langsam aber scheint der Zorn einer selbstbewussten Gelassenheit zu weichen, ganz nach der Devise: Die in Berlin sollen erst mal zeigen, ob sie die zuletzt defizitäre Musikmesse wieder aufputzen können. Die infantile Neid- und Standort-Debatte der Städte ist damit lange nicht besiegt. Etliche Firmen aus der ganzen Nation sind in der Vergangenheit dem Ruf in die Hauptstadt gefolgt, wo Oberbürgermeister Klaus Wowereit mit hippen Büros und attraktiven Konditionen aufwartete. „Da muss sich doch keiner wundern, dass alle abwandern“, klagt Wolfgang Funk, Geschäftsführer der Bochumer Plattenfirma Gun Records. Dennoch hat sich Funk dem Berlin-Boom bislang nicht unterworfen. Seit über zehn Jahren residiert Gun mit Erfolg im Ruhrgebiet, namhafte Bands wie die aus Niedersachsen stammenden „Guano Apes“ oder die Finnen „Him“ sind hier unter Vertrag. An einen Umzug in die seiHauptstadt ist nach Aussage Funks nicht zu denken: „In Bochum haben wir unsere Ruhe“, sagt er und spricht den pulsierenden Metropolen ihre vermeintlichen Reize ab. In der Bochumer Innenstadt kann sich Gun auf wenige Künstler konzentrieren, sie dafür aber dauerhaft an sich binden. Den Musikern selbst, so Funk, sei es ohnehin egal, wo ihre Plattenfirma arbeite. Noch ein Bochumer Unternehmen will nicht weg aus dem Revier: „Wir sind in Bochum, und wir bleiben in Bochum“, beruhigt Bernd Kowalzik, Geschäftsführer von Roof Music, die Gemüter. Die sind seit Monaten äußerst gereizt: CD-Verkaufszahlen sausen in den Keller, die Branche krankt heftig. Interessant ist die Frage, warum zeitgleich der DVD-Absatz zulegt, obwohl dieses Medium in der Regel teurer ist? Möglicherweise weil auf einer DVD neben Musik auch Interviews, Fotos oder Videos zu finden sind. Die CD verkommt mehr und mehr zu einer lieblos hinproduzierten Silberscheibe. Sinkende Absatzzahlen, Neid-Debatten, Standort-Streit. Alles offensichtlich nur Teilaspekte einer nicht enden wollenden Krise. Die wahren Gründe liegen tiefer. In Düsseldorf gesteht man unverblümt, weder Rezepte noch das nötige Know-How zu haben, um „die Musikwirtschaft nach vorne zu bringen“. Die dafür erforderliche Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik stockt. Deren Oberhäupter, Plattenbosse also und Politiker, waren am Nachmittag des Kulturwirtschaftstages großenteils schon wieder weg. Stühle blieben leer, Vorschläge ungehört.

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