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Verdrängen und Schreiben

Patricia Highsmith war nicht nur Krimischriftstellerin, sondern stand auch in der Tradition eines Dostojewski oder Henry James: Andrew Wilsons reizvolle, spannende, bisweilen aber kolportagehafte Biografie „Schöner Schatten. Das Leben von Patricia Highsmith“

VON MARION LÜHE

Kennen Sie Patricia Highsmith? Diese alte, verschrobene Krimitante mit dem sarkastischen Grinsen, die allein in ihrem Schweizer Domizil lebte, umgeben nur von ihren Katzen und Schnecken? So tief hat sich das Altersbild von der amerikanischen Schriftstellerin eingeprägt, dass man beinahe erstaunt ist zu erfahren, sie sei auch einmal jung und schön gewesen.

1921 in Fort Worth, Texas, geboren, wuchs Patsy, wie sie auch genannt wurde, bei Mutter und Stiefvater auf. Die Eltern hatten sich schon vor der Geburt ihrer einzigen Tochter getrennt. Das Kind empfand den neuen Mann ihrer Mutter, dessen Nachnamen es annahm, von Anfang an als Eindringling. Im Alter von sechs Jahren zog die Familie nach New York, wo das junge Mädchen nach der Schule häufig Büchereien besuchte und sich aus der düsteren, von elterlichen Streitereien überschatteten Wirklichkeit in die Welt der Fiktion flüchtete. Schon früh entwickelte sie Interesse für das psychologisch „Abnorme“, das sie ihr ganzes Leben beibehalten sollte. Zur Lieblingslektüre der Neunjährigen gehörten neben den Erzählungen Edgar Allen Poes ein Bildband über die Toten des Ersten Weltkrieges und Karl Mennigers „The Human Mind“, eine Sammlung von wissenschaftlichen Fallstudien über Schizophrene, Kleptomanen und Pyromanen. Ihre reservierte Art wie auch ihre anfangs mühsam versteckten lesbischen Neigungen machten sie zu einer Außenseiterin, deren einziges Ventil für ihre unterdrückten Gefühle das Schreiben gewesen zu sein scheint.

Auf die schlichte Formel „Unglückliche Kindheit plus Verdrängung gleich Schriftsteller“, die sie bisweilen selbst vertrat, möchte Andrew Wilson in seiner Highsmith-Biografie „Schöner Schatten“ ihre schöpferische Kraft allerdings nicht reduziert wissen. Neun Bände Erzählungen und zweiundzwanzig Romane schrieb Highsmith, darunter so berühmte wie „Der talentierte Mr. Ripley“ und „Zwei Fremde im Zug“, der kurz nach Erscheinen von Alfred Hitchcock verfilmt wurde. Trotz dieser Anerkennung blieb für Highsmith der große Publikumserfolg in den USA aus. Zu düster und amoralisch waren ihre Geschichten für den allgemeinen Geschmack, zu wenig klar die Grenzen zwischen Gut und Böse. Ihre Neigung, das Verbrechen als alltäglich und normal darzustellen, in die komplizierte Psyche ihrer Figuren einzudringen und sich mit ihnen zu identifizieren, stieß in ihrer Heimat auf wenig Gegenliebe. Lange Zeit hatte sie das Image einer Kriminalautorin, als die sie sich nie verstand. Erst nach ihrem Tod erkannte man die Bedeutung ihres Werkes, das in der Tradition großer psychologischer Romane eines Dostojewski oder Henry James steht.

In seiner Biografie zieht Wilson deutliche Parallelen zwischen Highsmiths kaltblütigen, unmoralischen Antihelden und der Autorin selbst, die ihr Privatleben stets vor der Öffentlichkeit abschottete. Aufgrund eines reichen, allerdings längst nicht ausgeschöpften Materials aus Tagebüchern, Notizbüchern und Briefen, zu dem der Journalist nach ihrem Tod 1995 als Erster Zugang erhielt, zeichnet er das Bild einer unglücklichen, zerrissenen Persönlichkeit. Obwohl sie sich zu Frauen hingezogen fühlte, sprach sie oft mit Verachtung vom eigenen Geschlecht. Ihre zahlreichen Liebschaften mit Frauen, von denen einige ausführlich zu Wort kommen, waren nie von Dauer und endeten oft in Hass und Streit. Immer mehr zog sie sich zurück und betäubte ihre seelischen Schmerzen mit Alkohol.

Bei allem wissenschaftlichen Anspruch droht Wilsons teilweise spannende, gut lesbare Biografie bisweilen ins Kolportagehafte abzugleiten und die Distanz zu ihrem Gegenstand zu verlieren. So behauptet der 1967 geborene Autor allen Ernstes von sich, er sei mit Highsmith’ geheimsten Gedanken vertraut, und meint, in ihre Person schlüpfen zu können wie in ihren alten Morgenmantel. Immer wieder rückt er der introvertierten Schriftstellerin mit seinen vulgärpsychologischen Deutungen auf die Pelle, blickt ihr über die Schulter, wenn sie schreibt oder ihre Katze streichelt, sitzt mit ihr beim Abendessen oder liegt neben ihr mit einer Geliebten im Bett. Dennoch lässt sich gerade in der Mischung aus Innen- und Außensicht, literarischen Zitaten und Klatsch unbestritten auch ein gewisser Reiz erkennen. Vielleicht hätte Patricia Highsmith mit ihrem ausgesprochenen Hang zum Voyeurismus sogar Gefallen daran gefunden.

Andrew Wilson: „Schöner Schatten. Das Leben von Patricia Highsmith“. Aus dem Englischen von Annette Grube und Susanne Röckel. Berlin Verlag, Berlin 2003, 650 Seiten, 28 Euro

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