DIE KUNST DER LEERE: Die nackte Vernunft
Zu den Türen wollte ich gehen, ins renovierte Prater-Foyer. Tat ich dann auch, mit gehöriger Verspätung. Hörte nur die letzten vier Lieder, was Spaß machte, besonders der Mutter-Erde-Song, in dem wir alle aufgefordert werden, uns nackt auszuziehen. Eine gute Sache, weil dieser Tage viel zu wenig ausgeflippt wird.
Wie nötig das ist, hatte ich kurz zuvor in der Rosa-Luxemburg-Straße erfahren, wo in einer leerstehenden Vorderhauswohnung die Gruppenausstellung „Full of Emptiness“ eröffnet worden war. Ein aufstrebender Künstler hatte in ein Zimmer einen Plattenspieler mit eingebautem Radio gestellt. Drauf lag eine Platte, daneben ein Kopfhörer. Ein junger Franzose hörte sich die Musik an, langweilte sich aber und schaltete das Radio ein. Durfte er aber nicht, wie ihm alsbald eine Person erklärte, die sich als Curator of Emptiness herausstellte. Warum, fragte der Franzose da unschuldig: Der Künstler müsse sich doch etwas dabei gedacht haben, wenn er keinen simplen Plattenspieler, sondern einen mit Radio hierhin stelle. Der Künstler wünsche nicht, dass das Radio angestellt werde, antwortete die Kuratorin schnippisch. Wozu dann das Radio? Das habe der Künstler eben schön gefunden.
Zeit, sich auszuziehen, beschloss ich: „Ich bitte Sie, meine Liebe, so ein Kunstwerk muss doch seiner inneren Logik folgen und nicht unbegründeter Schönfindung, welche die vom Werk selbst gegebenen Möglichkeiten seiner Interpretation durch diesen intelligenten jungen Mann hier negiert!“ Die Kuratorin beging einen Fehler: „Die Kunst ist doch nicht logisch!“ Dieser Hammerschlag schmiedete den Franzosen und mich zu einer eisernen aufklärerischen Front wider den Kunstmystizismus. Wir ließen der Armen keine Ruhe mehr. Bis die zornige Hausherrin den scharfsinnigen Franzosen der Ausstellung verwies. Ich ging mit, nackt und zufrieden. ULRICH GUTMAIR
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