: Die Lebenslaufpartei
KARRIEREN Der Politnachwuchs bei den Grünen kriegt Posten wie in keiner Partei. Die Macht haben die Alten
■ Vorzeigenachwuchs: Von 31 Landesvorsitzenden der Grünen sind neun 35 Jahre oder jünger. Im Schnitt sind die Landeschefs 42,5. Auf der Europawahlliste stehen mit Ska Keller und Franziska Brantner zwei unter 30-Jährige auf den vorderen Listenplätzen. Ein Spitzenteam für den Bundestagswahlkampf sollte eigentlich die 27 Jahre alte Nicole Maisch schmücken, doch das Konstrukt wurde in letzter Minute wieder verworfen.
■ Mächtige Alte: Das Sagen haben weiter die Erfahrenen aus der rot-grünen Regierungszeit. Die Führungs-WG mit Künast, Trittin, Roth und Kuhn verjüngt nur Cem Özdemir. Altersdurchschnitt der fünf: 51,2 Jahre. Jüngere wie Bo- ris Palmer oder Tarek Al-Wazir haben sich bisher dagegen entschieden, den Berliner Laden aufzumischen.
VON ULRIKE WINKELMANN UND RALPH BOLLMANN
Kathrin Henneberger rollt mit den Augen. Bislang hat sie neben ihrem Geografiestudium den Job als Sprecherin der Grünen Jugend ganz gut ausfüllen können. Das ist nicht leicht in aufregenden Zeiten, wenn eine Demonstration gegen Wirtschafts- oder Nato-Gipfel nach der anderen organisiert sein will. Nächstes Semester lässt sich die 22-Jährige vom Studium freistellen. „Das wird sonst zu heftig.“
Die durch Bachelor und Master verdichteten Studiengänge lassen politisches Engagement kaum mehr zu. „Ich hoffe, dass sich ein Freisemester für so ein Amt nicht negativ auf den Lebenslauf auswirkt.“ Henneberger bläst über ihren Pfefferminztee und schaut rasch hinüber zu ihrem Co-Sprecher Max Löffler. „Ist schon blöd, dass man heutzutage in solchen Kategorien denken muss – Le-bens-lauf.“
Parteitag der Bewährten
Dabei sind eine grüne Parteilaufbahn und ein feiner Lebenslauf alles andere als ein Gegensatz. In keiner anderen Partei machen junge Männer und Frauen derzeit so schnell Karriere. Paradox: So viel haben die Jungen dann auch wieder nicht zu sagen. Auf dem Parteitag am kommenden Wochenende wird deshalb wohl keines der Nachwuchstalente eine Rolle spielen, auf die die Grünen angeblich so stolz sind. Selbst die Idee eines „Spitzenteams“, das den grünen Auftritt im Bundestagswahlkampf dadurch verjüngen sollte, dass ihm auch die 27 Jahre alte Abgeordnete Nicole Maisch angehört hätte, wurde kurzfristig abgeräumt.
Immerhin ein Drittel der Grünen-Mitglieder ist jünger als 40 Jahre, im Vergleich zu anderen Parteien ist das viel. Mehrere Nachwuchsgrüne stiegen zuletzt zu Landeschefs auf – etwa die 32 Jahre alte Katharina Fegebank und ihr vier Jahre jüngerer Vize Anjes Tjarks in Hamburg. Vielerorts verdanken die Junggrünen ihren Aufstieg der parteitypischen Trennung von Amt und Mandat. Altvordere greifen lieber zum machtvolleren Fraktionsvorsitz, und an der Spitze des Landesverbandes werden Posten für den Nachwuchs frei.
Weit vorne stehen junge Grüne auf der Liste für die Europawahl. Auf dem sicheren siebten Platz kandidiert die 27 Jahre alte Ska Keller aus dem brandenburgischen Guben: jung, weiblich, ostdeutsch. Typisch für die neue Generation von Grünen ist vor allem ihre Sozialisation. Als Arzttochter stammt Keller aus bürgerlichen Verhältnissen. Als Studentin der Turkologie, Islamwissenschaft und Judaistik ist sie akademisch bestens ausgewiesen. Als ehemalige Sprecherin der Europäischen Grünen Jugend schließlich hat sich die polyglotte Nachwuchspolitikerin international vernetzt.
Leute wie Keller diskutieren nicht gerne im Bierdunst von Hinterzimmern mit ParteifreundInnen, die sie intellektuell nicht für satisfaktionsfähig halten. Auch darum sind die Grünen für den Nachwuchs attraktiver als die Konkurrenz: Die Ochsentour bleibt ihnen erspart. In anderen Parteien müssen sich Jungmitglieder vom Ortsvorsitz über Kreisvorstände auf Landes- und Bundesebene hochschaffen, was den Nachwuchs dezimiert. Bei den Grünen geht es schneller.
Lukrative Jobs in der Wirtschaft stehen ihnen nach der politischen Blitzkarriere immer noch offen. Das zeigt das prominente Beispiel des Ex-Staatssekretärs Matthias Berninger, der mit 34 Jahren beim Süßwarenkonzern Mars anheuerte.
So weit mag die Brandenburgerin Ska Keller noch nicht denken. Sie ist eben erst auf dem Weg nach oben, nächste Station: Brüssel. Noch vor wenigen Jahren streifte sie als Punk durch die heimatliche Grenzstadt an der Neiße. Heute meidet die künftige Europaabgeordnete scharfkantige politische Ansichten. Nicht einmal auf eine Position zum EU-Beitritt der Türkei mag sich die Turkologin festlegen lassen. Die Frage müsse „an klaren Kriterien verhandelt“ und dürfe „nicht zur populistischen Stimmungsmache genutzt“ werden, erklärt sie im Politprofisound.
Vier Plätze weiter folgt auf der Europaliste die 29-jährige Franziska Brantner aus Freiburg. In ihrer Bewerbungsrede auf dem Grünen-Europa-Parteitag in Dortmund war ihr der Spaß daran anzusehen, wie professionell sie durch hoch kontrollierte Sprechweise, gut gesetzte Klatschpausen, das ganze gestische und rhetorische Repertoire des parteipolitischen Auftritts zu wirken wusste.
Washington und Brüssel
„Mit meiner Erfahrung von fünfzehn Jahren grüner Arbeit – sei es in Deutschland oder in Frankreich, bei den Vereinten Nationen, bei der Europäischen Union“ wolle sie „euren Erwartungen entsprechen“, rief sie den Grünen zu. Brantner übertrieb nicht. Kaum mit dem deutsch-französischen Abitur fertig, hat sie schon in den Büros der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv und Washington gearbeitet, beim Studium in Paris eine grüne Hochschulgruppe aufgezogen. Sie promoviert und ist im Übrigen Mitarbeiterin beim United Nations Development Fund for Women in Brüssel. Ein fantastischer Lebenslauf.
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