: Lyrisches Ich aus Feuer und Eis
Illustrierte Inkunabeln, illuminierte Handschriften, farbintensive Buchseiten: Mit der Ausstellung „Triumph der Liebe“ feiert die Kunstbibliothek im Kulturforum am Potsdamer Platz den 700. Geburtstag des italienischen Dichters Francesco Petrarca
VON JAN SÜSELBECK
„Unter den Erfindungen der Menschen gibt es nichts Beständigeres als die Literatur“, schreibt Francesco Petrarca (1304–1374), der bekannteste italienische Poet des 14. Jahrhunderts. Er war dem Zauber der Bücher verfallen und zog sie der „traurigen Geschäftigkeit“ menschlicher Gesellschaft vor.
Aus Anlass von Petrarcas 700. Geburtstag zeigt die Ausstellung „Triumph der Liebe“ in der Kunstbibliothek „illuminierte Handschriften, illustrierte Inkunabeln und Frühdrucke, aber auch Schriften, die von der bis heute andauernden Wirkungsgeschichte Petrarcas zeugen“, wie der Direktor des Hauses, Bernd Evers, in einem einführenden Text zur Schau erläutert. Der Kunstsammler Reiner Speck hat die meisten der Exponate aus seiner weltweit größten Petrarca-Privatsammlung zur Verfügung gestellt. Ihre seltenen Schätze waren vorher auch schon in Köln zu sehen.
In dem 1346 bis 1356 verfassten lateinischen Traktat „De vita solitaria“, das eine rote Inschrift an der Wand des fensterlosen Ausstellungsraums vorstellt, preist der Dichter die Einsamkeit weiser Eremiten. Doch Petrarcas umfangreiche Briefwechsel mit bekannten Persönlichkeiten seiner Zeit, etwa mit dem berühmten Kollegen Boccaccio, zeugen auch von der starken Ambivalenz dieser Haltung. Petrarcas poetischer „Triumphus cupidinis“, der der Ausstellung den Namen gab, bestimmt auch seine berühmten „Canzoniere“ – Gedichte in italienischer Volkssprache, die von der Liebe zur schönen Laura handeln. Erzählen doch auch sie von einem dichterischen Wechselbad der Gefühle: Im Sommer sei das lyrische Ich wie Eis und im Winter wie Feuer, heißt es in einem Vers, den man hier ebenfalls blutrot an die Mauer gemalt hat.
Der eintretende Besucher hört plötzlich nur noch die Klimaanlage rauschen, als er einige Stufen in den dämmrigen Ausstellungsraum hinabsteigt, um sich andächtig den alten Buchrücken zu nähern. Irgendwo da draußen tost noch der entnervende Verkehr am Potsdamer Platz, hier unten regiert allein noch der Geist.
Seine historischen Produkte dürften nicht nur das Herz bibliophiler Sammler pergamentener Zimelien höher schlagen lassen. Erstaunlich, wie gut sich diese Bände aus dem 14. Jahrhundert gehalten haben – heutige Bücher würden wohl nach einem Bruchteil der Zeit zu Staub zerfallen. Mal sind es eher knittrige Umschläge, mal robuste lederne Einbände, deren gedeckte Farben dem Raum eine eigentümliche Aura meditativer Entrückung verleihen. Auf mittelalterlichen Buchillustrationen kann man die lieblichen Landschaften der italienischen Renaissance betrachten, gebrochen nur durch die dunkle Gestalt des Todes, die darin drohend umhergeistert.
Eine unglaubliche Farbintensität geht von den handbemalten Seiten dieser Bücher aus. Das aufgeschlagene „Libro de Sonetti et Canzone“ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts etwa funkelt den Betrachter in Rot, Blau, Grün und schimmerndem Gold an. Kaum kann man heute nachvollziehen, woher die totale Detailversessenheit kam, mit der solche Werke in jener Epoche gestaltet wurden.
So schön die Exponate sind, so sehr waren sie den Gefahren menschlicher Zerstörungswut ausgesetzt. Es werden nicht nur Übersetzungen und Dichterbiografien aus der Blütezeit der europäischen Petrarca-Rezeption gezeigt, sondern auch Relikte zensurbedingter Bücherverstümmelungen, die bis ins 19. Jahrhundert hinein an den Werken des Kirchenkritikers verübt wurden. In seinen „Canzoniere“ beschimpft Petrarca den babylonischen Kirchenstaat als „Hure“. Mit wüsten Schwärzungen ging man gegen solche radikalen Ketzereien zu Werke. Das konnte der Schrift allerdings auf lange Sicht nichts anhaben: Auf den ausgestellten Buchseiten scheinen die Lettern bereits wieder gut lesbar durch die Übermalungen hindurch, so als wollten sie zeigen, dass die Wahrhaftigkeit der Literatur eben doch stärker sei als alle gewaltsamen Denkverbote.
Sogar selbst blättern darf man in den wertvollen Folianten – allerdings nur virtuell. An einem Bildschirm kann man per Mausklick die Manuskriptseiten wenden oder kunstvoll verzierte Initialien vergrößern lassen. So schlägt die Ausstellung den Bogen von der auratischen Präsenz der Originale bis hin zu ihrer unerlässlichen Archivierung im Zeitalter digitaler Verfügbarkeit.
„Triumph der Liebe. Dem Dichter Petrarca zum 700. Geburtstag“. Kunstbibliothek, Kulturforum Potsdamer Platz (Eingang: Matthäikirchplatz), bis 16. Januar
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