: „Arald, isch will ein Kind von dir!“
Die Hauptstadt des Humors unter Schock: München demonstriert für Harald Schmidt
MÜNCHEN taz ■ Dumpf verhallt der Theatinerkirche Glocken Klang über dem winterlich öden Münchner Odeonsplatz. Einzig ein Häuflein Aufrechter hat sich an diesem geschichtsträchtigen Ort vor der Feldherrnhalle versammelt, bekundet hier zwischen Nordmanntannen und Glühweinstand sein Ja zu Harald Schmidt, dem größten Humoristen, den diese Nation je in ihrer an Komik nicht armen Geschichte hervorgebracht hat. Liest man in den verbitterten Mienen der Fröstelnden, so weiß man, dass es für sie Totenglocken sind, die da vom spätbarocken Turm herunterschallen.
Was hat dieser Platz nicht alles schon gesehen? 1918 die Münchner Räterevolutionäre; den putschenden Hitler von 1923; Bertolt Brecht in seiner epischen Lederjacke; Claus Peymann, der hier auf dem Rückweg von seiner Entdeckung des Nordpols einen Zwischenstopp einlegte und mit Standing Ovations gefeiert wurde. Momente des Triumphs und der Niederlage, alles in allem ein härener Mantel der Geschichte, der an diesem eisigen Winterabend wieder sein grausiges Haupt erhebt.
Doch mit Leichenbittermienen soll es nach dem Willen der Organisatoren nun genug sein. Nicht Mahn- noch Totenwache für den größten Entertainer, der je von deutschem Boden ausging, ist angesagt, sondern der Startschuss zu einer machtvollen Demonstration für das Weiterbestehen der „Harald Schmidt Show“. Im Gespräch der Gleichgesinnten werden in mühsamer Erinnerungsarbeit die besten Gags der vergangenen acht Jahre rekonstruiert – manch einer versteht sie erst jetzt. Während auf der improvisierten Bühne Nasenduschen ausprobiert werden, wächst die Gruppe stetig an. Transparente werden entrollt, Plakate hochgehalten: „Für die Volksgesundheit – Harald Schmidt“, „Haim Saban, ruf Harald an!“, „Arald, isch will ein Kind von dir!“, skandieren die Massen. Die Stimmung wird immer besser. Auf der Bühne geben unter Schock stehende Bürger ihr Bekenntnis zu His Schmidtness ab.
Und München wäre nicht München, wenn nicht auch all die Geister kämen, die der Meister nie rief. Hannelore Elsner gesteht in einer bewegenden Rede: „Harald, ich kriege nicht genug von dir. Du bist so verfallen – und ich bin dir so verfallen.“ Ein Hammerwortspiel, für das die grundehrliche Dauerdiseuse mit frenetischem Jubel belohnt wird.
Solidaritätsadressen werden verlesen, Guido Westerwelle lädt Schmidt zu einer vorweihnachtlichen Noppensockenparty vor offenem Kamin ein. Mittlerweile ist es eine unüberschaubare Menschenmasse, die den Odeonsplatz zu einem Dampfkessel der Emotionen macht. Tausende und abertausende Münchner und Münchnerinnen leisten den Treueschwur. Und Franz Maget, der sympathische Sozialdemokrat, der noch nie vor so vielen Menschen gesprochen hat, verspricht, Harald Schmidt zum Bayerischen Rundfunk zu holen. Die Masse glaubt ihm aufs Wort – will glauben, will geführt werden. Maget, der Vollblut-Politiker, erkennt die Gunst der Stunde, weiß, dass er sich hier und heute ins Buch der Geschichte eintragen kann. Der alte, längst verschüttet geglaubte Volkstribun in ihm erwacht und mit seinem feurigen Bekenntnis zur gepflegten Abendunterhaltung reißt er auch noch den letzten Zögernden mit. Der Zug der zigtausenden setzt sich langsam in Bewegung. Franz Maget weist den Weg: vorbei an Tambosis Glühweinstand, durch den Hofgarten zur Bayerischen Staatskanzlei. Fackeln werden entzündet, Sprüche skandiert: „Couch potatoes, reiht euch ein, lasst das blöde Glotzen sein!“ Die glühweinseligen Massen folgen dem unwiderstehlichen Sog, aus einer Totenwache ist ein Triumphzug geworden. Die Show hat begonnen. RÜDIGER KIND
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