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cdu-parteitagVorläufig ist Ruhe im Karton

Die Basis ist harmoniebedürftig, und sie möchte gerne glauben, dass ihre Spitzenkräfte lauter hochbegabte Leute sind, die kluge, vorausschauende Entscheidungen treffen. Deshalb segnen Delegierte auf Parteitagen gelegentlich verschiedene Positionen ab, die miteinander unvereinbar sind. So vor einem Jahr in Leipzig, als die CDU ein Steuerkonzept und eine Gesundheitsreform beschloss, die nicht unter einen Hut zu bringen waren. Oder ein Parteitag jubelt gleichermaßen begeistert Männern und Frauen zu, die sich spinnefeind sind. So jetzt in Düsseldorf. Die Rede von Angela Merkel ist dort gebührend beklatscht worden, mit 88 Prozent erreichte sie ein achtbares Ergebnis. Aber ausgerechnet ihr schärfster Kritiker, Friedrich Merz, wurde von den Delegierten frenetisch gefeiert.

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Im Blick auf das derzeit schwierige Binnenklima der Partei war das ein pragmatisches, vernünftiges Verhalten. Vorläufig herrscht jetzt wenigstens Ruhe im Karton. Aber eben nur vorläufig. Denn die Rede von Angela Merkel hat endgültig bewiesen, dass sich die Probleme der jüngsten Zeit nicht auf lässliche Patzer zurückführen lassen, sondern Ausdruck einer tiefen inhaltlichen Ratlosigkeit der CDU-Führung sind. Die Rede der Vorsitzenden war langatmig, uninspiriert, inhaltlich vage, und sie enthielt nichts Neues. Um das zu verschleiern, griff sie tief in die Mottenkiste rhetorischer Tricks: Sie besann sich auf die gute alte Wertedebatte.

Von den Kopfnoten im Schulzeugnis bis zur deutschen Schicksalsgemeinschaft, von der schroffen Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft und eines EU-Beitritts der Türkei bis zu Leitkultur und christlichem Politikverständnis ließ Angela Merkel fast nichts unerwähnt, was in den letzten Jahren immer mal wieder das christdemokratische Gemüt erwärmt hat. Aber es ist fraglich, ob das wohlige Gemeinschaftsgefühl, das derlei Schlagworte auslösen kann, auch nur mittelfristig trägt.

Allzu lange und eindringlich hat die CDU-Führungsspitze der Bevölkerung erklärt, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Republik seien riesig und müssten sofort gelöst werden. Die Bundesregierung sei dazu unfähig. Vor dem Hintergrund dieses düsteren Gemäldes dürfte es schwierig werden, Wählerinnen und Wähler plötzlich davon zu überzeugen, die Wertedebatte sei die dringlichste aller Fragen. Ein bisschen mehr wird sich Angela Merkel einfallen lassen müssen, wenn sie nach der Macht greifen will.

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