: Baustelle Deutschland
ORTSTERMIN In Berlin versucht die CDU, sich im Wahljahr als einzige Staatspartei der Bundesrepublik zu feiern – mit ihrer eigenen Geschichte nimmt sie es nicht so genau
VON RALPH BOLLMANN
Das S-Wort fällt an diesem Montagvormittag nur beiläufig. „Wer viel verdient, zahlt auch viel Steuern“, sagt Angela Merkel (CDU). Deshalb solle man ihn nicht mit Neiddebatten behelligen. Im Wahlkampf solle man „nicht in den Wettlauf um die schönsten Versprechungen einsteigen“, fügt die Bundeskanzlerin hinzu. Und: „Ein überschuldeter Staat kann auf Dauer nicht sozial sein.“ Vor ein paar Minuten stand ihr Generalsekretär Ronald Pofalla auf derselben Bühne und hat das Publikum darüber informiert, das Stück „Wie es euch gefällt“ stehe im Wahljahr nicht auf dem Programm.
All das sind nicht gerade starke Argumente für jene Steuersenkungen, die Merkel ins CDU-Wahlprogramm schreiben will. Das hat sie am Wochenende bekräftigt und sich dafür den Widerspruch der ostdeutschen Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen zugezogen, die um ihre Finanzen fürchten. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der sonst gern gegen Merkel stichelt, ist ihr gerade beigesprungen. Es sah so aus, als hätte sie es nötig.
Um diese Niederungen soll es hier drinnen gar nicht gehen, im Deutschen Theater Berlin. Die CDU hat die derzeit erfolgreichste Bühne Berlins für ein paar Stunden gemietet, um sich geschichtspolitisch ins rechte Licht zur rücken. 60 Jahre Bundesrepublik gilt es zu feiern, 20 Jahre Fall der Mauer. Die Botschaft ist simpel. Konrad Adenauer hat die Deutschen aus dem Nachkriegselend geführt, Helmut Kohl die Ostdeutschen zu Demokratie und leidlichem Wohlstand. Was ist dagegen schon eine Finanz- und Wirtschaftskrise – zumal wenn zum großen Glück der Deutschen erneut die CDU regiert?
Merkel, die Ostdeutsche, will im Wahljahr mit beiden Jubiläen punkten. Sie erinnert daran, wie oft sie zu DDR-Zeiten in diesem Theater war, damals, als man in den Stücken noch auf die Zwischentöne achten musste, als Applaus an gewissen Stellen noch ein politisches Statement war. Wie gut, dass die Zeiten vorbei sind – weshalb es rein gar nichts zu bedeuten hat, dass Merkel den lautesten Applaus für die Erwähnung des abwesenden Helmut Kohl erhält.
„Wir feiern einen historischen Glückszustand“, sagt Merkel über das vereinigte Deutschland. Es klingt ein bisschen nach den Thesen des Historikers Heinrich August Winkler, der schon unter der rot-grünen Vorgängerregierung das Land auf seinem „langen Weg nach Westen“ endlich angekommen sah. Mit dem Unterschied, dass die Erfolgsstory in der Merkel’schen Version keine sozialdemokratischen Mütter oder Väter hat. In einem kurzen Filmchen, das die CDU fürs Geschichtsjahr 2009 produzieren ließ, kommen Willy Brandt oder Helmut Schmidt gar nicht vor. Gefeiert wird dafür Kurzzeitkanzler Kurt Georg Kiesinger. Er verfügte über die Fertigkeit, als „kluger Vermittler“ eine große Koalition zu „steuern“. Fragt sich nur, warum die Filmemacher das erwähnen. Will Merkel nicht im Herbst schon mit der FDP regieren?
Aber allzu genau mag es die CDU mit ihrer Geschichte selbst nicht nehmen, dagegen spricht schon das Rahmenprogramm. Eröffnen darf den Vormittag der Geiger David Garrett, der mit seiner Kuschelklassik den seriösen Musikbetrieb gegen sich aufgebracht hat. Er spielt Verballhornungen von Bach – und Musik aus dem Hollywood-Piratenfilm „Fluch der Karibik“.
Im Anschluss an Merkels Rede folgt auf die Kuschelklassik dann der Kuscheltalk: Der Moderator Johannes B. Kerner befragt Zeitzeugen zur gemeinsamen Geschichte von CDU und Bundesrepublik. Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière und der damalige Kanzleramtsminister Rudolf Seiters treten als Zeitzeugen der Einheit auf. Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf darf vor der demografischen Entwicklung warnen und eine langjährige Landtagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz vom Wiederaufbau nach dem Krieg erzählen.
Doch unübersehbar nagt die Krise am Bild vom glücklichen Endzustand, das sich die CDU von langer Hand zurechtgelegt hat. So fügt es sich, dass die Feierstunde in einem Provisorium stattfindet. Weil sich die Sanierung des Theatergebäudes verzögerte, hat man die Wandbespannung aus rotem Samt kurzerhand durch eine Fototapete ersetzt. Sie zeigt eine Baustelle.
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