piwik no script img

american pieKein Osterhase bei den Olympischen Spielen

Die Beschuldigungen des Dopinggurus Victor Conte werden der Sprinterin Marion Jones kaum schaden, da dieser als Zeuge komplett unglaubwürdig ist

Es ist nichts Neues, dass Leute, die als Dopingdealer enttarnt sind, die These propagieren, dass sie ja nur getan hätten, was alle tun. So ist es kein Wunder, dass auch Victor Conte diese Argumentation für sich entdeckt hat. Conte ist Gründer und Chef der Bay Area Laboratory Co-Operative (Balco), eines Instituts, das Spitzensportler mit vielfältigen Mitteln, gern auch unerlaubten, zu Höchstleistungen trieb. Gestanden, von Conte gedopt worden zu sein, haben bislang vor einer Grand Jury Athleten wie die Sprinterin Kelli White, 100-m-Weltrekordler Tim Montgomery und zuletzt auch Jason Giambi, Baseballstar der New York Yankees. Bestritten wird jede Schuld nach wie vor von der vielfachen Weltmeisterin und Olympiasiegerin Marion Jones sowie Homerun-Rekordler Barry Bonds. Conte selbst hatte sich vor einem Bundesgericht für unschuldig erklärt, umso überraschender, dass er jetzt in einer Fernsehsendung genau das Gegenteil behauptete und sich selbst, vor allem aber Marion Jones belastete.

Contes Äußerungen lassen die gleichzeitigen Diskussionen des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) in Helsinki wie ein Kasperletheater erscheinen. Dort wurde angesichts der Skandale von Athen über eine Verbesserung jenes Kontrollsystems debattiert, von dem Conte sagt, es zu umgehen sei so leicht, „wie einem Baby Süßigkeiten wegzunehmen“. Die Mittel, die er verabreichte – Wachstumshormone, Epo, das Designersteroid THG –, waren zu jener Zeit allesamt nicht nachweisbar, solche Mittel gäbe es nach wie vor haufenweise. Olympische Spiele wären „ein einziger Betrug“, niemand gewinne dort Medaillen ohne unerlaubte Hilfsmittel. Er käme sich vor wie jemand, der den Leuten erst erklären muss, „dass es keinen Weihnachtsmann gibt, und dann auch noch, dass der Osterhase ebenfalls nicht existiert“, spottete er über jene, die an seiner drastischen Darstellung zweifeln. Nicht bewusst scheint ihm die Ironie der Tatsache zu sein, dass nun ausgerechnet die Athleten des großen Süßigkeitenwegnehmers Conte einer nach dem anderen auffliegen, auch wenn diese nicht vom Doping-Kontrollsystem entlarvt wurden, sondern durch polizeiliche Ermittlungen und die Indiskretion eines beleidigten Trainers, dem Balco seine Paradepferde Jones und Montgomery abspenstig machte.

Die Frage ist: kann man Conte glauben. Hier neigt die Sportwelt zu merkwürdiger Schizophrenie. Behauptet der Balco-Chef, er habe vor den Sydney-Spielen 2000 Marion Jones dabei zugesehen, wie sie sich Wachstumshormone spritzte, ist er ein zuverlässiger und gern zitierter Informant. Sobald er dann jedoch die Totalkontaminierung olympischen Edelmetalls postuliert, für die einiges spricht, wird er flugs wieder zur zwielichtigen Figur. Paradebeispiel für das Dilemma ist Dick Pound, der stets wortstark vorpreschende Boss der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Man müsse Marion Jones die Medaillen von Sydney wegnehmen, kommentierte er markig Contes TV-Auftritt – wenn sie schuldig sei, wie er freundlicherweise hinzufügte. Die Frage ist nur, wem er die Medaillen dann geben will. Nach derzeitigem Stand ginge das Jones-Gold von Sydney an die 4-x-400 m-Staffel Jamaikas, Pauline Davis-Thompson von den Bahamas und die Griechin Ekaterini Thanou. Herzliches Gelächter von Mr. Conte wäre Dick Pound gewiss.

Während die meisten beschuldigten Sportler vor der Grand Jury zusammenbrachen und Geständnisse ablegten, blieb Marion Jones auch dort – trotz Androhung einer hohen Gefängnisstrafe bei Meineid – unbeugsam bei ihrer Version. Sollte sie schuldig sein, wäre das ein gefährliches Spiel, doch vieles deutet darauf hin, dass sie ungeschoren bleibt. Einen Lügendetektortest hat sie offenbar bestanden, und trotz diverser Dokumente, die gegen sie sprechen, gibt es nur drei Belastungszeugen, einer unglaubwürdiger als der andere. Ex-Trainer Trevor Graham, der ihr übel nimmt, dass sie ihn verlassen hat, Ex-Ehemann C. J. Hunter, der ihr noch übler nimmt, dass sie ihn verlassen hat, und nun Victor Conte. Für den hat Jones umgehend einen Lügendetektortest gefordert. Der Balco-Chef wird sich hüten. MATTI LIESKE

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen