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Nicht zu Bittstellern degradieren

FAIRE LÖSUNG Eine vorbildliche Restitutionspraxis schließt Ungeschicklichkeiten nicht aus, wie der Band „Kunst-Transfers“ belegt

Die Problematik der Raubkunst wird gemeinsam mit der der Beutekunst verhandelt, die die Sowjetarmee nach 1945 aus Deutschland mitnahm

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gelten zu Recht als Vorbild im Umgang mit Kunstgegenständen, die ihren Eigentümern im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung geraubt und abgepresst worden sind. Während sich viele Museen noch immer zögerlich bei der Erforschung der Herkunft zweifelhafter Bestände verhalten oder sogar offen für einen Schlussstrich bei der sogenannten NS-Raubkunst plädieren, kam in Dresden seit der Wiedervereinigung eine beispielhafte Restitutionspraxis in Gang. Vor einem Jahr legte der Freistaat Sachsen ein mit 15 Millionen Euro ausgestattetes Programm zur Provenienzforschung auf. Und im aktuellen Fall des Gemäldes „Junge Dame mit Zeichengerät“ des Romantikers Carl Christian Vogel von Vogelstein, das die Dresdner als Raubkunst identifiziert haben, suchen sie gerade von selbst nach den Erben – ganz im Sinne der Washingtoner Erklärung, in der sich 1998 mehr als vierzig Staaten zu fairen und gerechten Lösungen verpflichteten.

Dass diese Vorbildrolle jedoch nicht vor Ungeschicklichkeiten schützt, belegt ein gerade erschienener Band mit den Redebeiträgen einer Konferenz, die im vergangenen Herbst parallel zum Deutschen Historikertag in Dresden stattfand. „Kunst-Transfers. Thesen und Visionen zur Restitution von Kunstwerken“ – hinter diesem seltsam neutralisierenden Titel kommen nicht nur die konkreten Umstände des nationalsozialistischen Kunstraubs beinahe zum Verschwinden. Die Problematik der Raubkunst wird zudem gemeinsam mit der der sogenannten Beutekunst verhandelt – jener Kunstgegenstände also, die nach 1945 vor allem von der Sowjetarmee aus Deutschland abtransportiert worden waren. Auch wenn die Lektüre den Verdacht entkräftet, beides solle gleichsetzt oder gar gegeneinander aufgerechnet werden, macht das Buch vor allem eines deutlich: Die Verknüpfung ist schon deshalb unglückselig, weil dadurch weder die Raubkunst- noch die Beutekunstfrage vorangebracht werden können.

Für sich genommen durchaus lesenswerte Referate etwa zum napoleonischen Kunstraub um 1800 haben zur Debatte kaum etwas beizutragen. Und bereits in ihren Eingangsstatements benötigen Gastgeber Martin Roth, Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und Gilbert Lupfer, Leiter der dortigen Provenienzforschung, viel Platz, den „Spagat“ zwischen „Ungleichheiten“ zu rechtfertigen und ihre Kenntnis der kausalen Abfolge der Ereignisse zu beteuern, und verstellen so den Blick zum Beispiel auf die Erkenntnis, dass Offenheit und Transparenz durchaus belohnt zu werden scheinen. Lupfer erinnert daran, dass zum Beispiel die Familie von Klemperer, die Deutschland 1938 verlassen und fast ihren gesamten Besitz zurücklassen musste, auf die Rückgabe von Teilen ihrer Porzellansammlung mit einer generösen Schenkung an die Dresdner reagierte.

Deutliche Worte in Richtung zögerlicher, auch sich sperrender Museen aber sind dem Rechtsanwalt Charles Goldstein und Georg Heuberger, Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland, vorbehalten. Den Verfolgten wurden schwerstes Unrecht und die grausamsten Verbrechen angetan. Dies anzuerkennen benannte Heuberger – auch in Richtung der Titelgeber – als notwendigen ersten Schritt für faire und gerechte Lösungen.

Während man in den meisten Museen sehr viel Engagement und Mittel für die Dokumentation eigener Verluste aufgebracht habe, gebe es bei der Aufarbeitung ihrer Rolle bei der Ausplünderung jüdischer Sammler noch immer Defizite. Nur wenn sie sich dieser Aufgabe stellen, Anspruchsteller nicht zu Bittstellern degradieren und auch von selbst auf beraubte Eigentümer zugehen, kämen Museen endlich aus der Defensive.

ROBERT SCHRÖPFER

■ Stefan Koldehoff, Gilbert Lupfer, Martin Roth (Hg.): „Kunst-Transfers“. Deutscher Kunstverlag, München 2009, 104 Seiten, 19,90 €

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