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village voiceKokettes Kunstwollen: Antye Greie füllt als AGF die Leerstellen mit Bedeutung

Es ist allzu leicht, Antye Greie etwas vorzuhalten: dass ihre Texte verschwurbelt seien, dass die von ihr programmierten Beats den Takt nicht halten können und nicht zuletzt, dass die Schreibweise ihres Vornamens so prätentiös ist wie ihre Musik klingt. Nun kann man sagen, dass alle diese Vorwürfe zutreffen. Dann allerdings muss man auch erwähnen, dass Greie als eine der wenigen in der elektronischen Musik, ein Wagnis eingeht.

Ob im Duo Laub, in verschiedenen Kooperationen oder auf ihren, unter dem Kürzel AGF heraus kommenden Solo-Arbeiten, immer macht sich Greie angreifbar. Auch auf dem neuesten AGF-Album „Westernization Completed“ geben sich Musik und Texte nicht zufrieden mit dem üblichen Wollen der elektronischen Musik. Hier geht es um mehr als einen flotten Rhythmus und paar elegante Samples.

Mit der Aufforderung „Let’s make our own movie“ beginnt die Platte und tatsächlich bietet das folgende Patchwork aus Tönen und Worten vor allem Raum für eigene Interpretation. Oft scheinen die Leerstellen zwischen ihnen wichtiger als die liebevoll gesammelten Klänge selbst. Wenn ein einsames Saxofon durch einen Hinterhof trötet und dazu ein Hahn kräht, definiert allein die Differenz dazwischen die Grenzlinie zwischen urbanem und ländlichem Leben. Manchmal wird die Musik ganz verbannt und mit reduzierten Mitteln eines Hörspiels entsteht eine Meditationsoberfläche.

Immer wieder aber stellt Greie die eigene Person in den Mittelpunkt, entschieden wie eine Malerin beim Selbstporträt. Diese klassische selbstreflexive Kunstauffassung ist immer noch recht selten in der elektronischen Musik, wo der DJ/Musikproduzent aus der Dienstleister-Tradition kommt und egomanische Soundbastler wie Aphex Twin sich hinter anonymisierenden Strumpfmasken und komplex verschachtelten Beats verstecken. Das Autorenmodell mag der Electronica nicht mehr vollkommen fremd sein, aber niemand öffnet sich so restlos, macht sich so verletzlich wie Greie, auch wenn sie als AGF nur Englisch benutzt und nicht wie bei Laub ihre Muttersprache.

Das zentrale, autobiografische Statement heißt „Contemporary Westernized“ und beginnt mit einer Pop verheißenden Erkennungsmelodie, die aber sofort zusammenbricht und fortan nur mehr als ihre eigene Ruine angespielt wird, als Signet für ein absichtlich uneingelöstes Versprechen. Im wie stets nur aus hingeworfenen Assoziationen bestehenden Text, bei Laub noch gesungen, hier gesprochen, beschreibt Greie ihr Aufwachsen in der DDR: „Where I come from / deepest east germany / we used to grow up unfree“. In der nahezu emotionslosen Narration ist kein Hinweis versteckt, wie diese Beschreibung bewertet wird. Erst in der Schlussfolgerung wird die positive Wirkung der Beschränkung heraus gestellt: „Restricted I grew up cheap / without caring about consume, to give room for books and music“. So also durchlief sie nie die klassische Raver-Karriere: „I never took a line / ate a pill / until I was twenty they weren’t available / you think I’m boring / maybe.“

Langweilig? Es ist die Koketterie der Kunstbeflissenen. Greie versteht sich ebenso als Dichterin wie als Musikerin. Der Anspruch ist hoch, die Fallhöhe auch. Aber vor allem im Ausland wird Greie mittlerweile längst als herausragende Vertreterin der neuen deutschen Herzlichkeit in der Elektro-Branche wahrgenommen. Als AGF veröffentlicht sie auf Kit Claytons, in San Francisco beheimateten Label Orthlorng Musork, und der legendäre britische Musikjournalist David Toop fantasierte sich Greie gar als „ostdeutsche R&B- Diva“. THOMAS WINKLER

AGF: „Westernization Completed“ (Orthlorng Musork)

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