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Ich trinke, also bin ich Künstler

Jonathan Monks erste Einzelausstellung in Deutschland: „Ocean wave“ im Künstlerhaus Bremen. Mitmachkunst als Spiel menschlicher Sehnsüchte

Zu Hause! So fühlt man sich beim Betreten der Galerie im Künstlerhaus. Überall gähnen leere Bierflaschen, lümmeln kalte Zigarettenstummel in den Aschern, im sparsam weggedimmten Licht funkelt eine pointilistische Komposition aus Kronkorken. Dieses Wohnzimmer der Melancholie wird durchströmt von Lou Reeds jahrelang geräuchertem Gesang vom „Perfect day“: „Drink Sangria in the park, / And then later, when it gets dark, / We go home. / Just a perfect day, / Feed animals in the zoo / Then later, a movie, too, / And then home.“ Zu Hause.

In diesem Fall in einer elegisch anmutenden Gesellschaft romantischer Trinker beim Diaabend. Denn auf zwei Leinwänden werden banale Fotos banaler Bremer Orte projiziert, wahlweise sind sie auch als 16mm-Geflimmer zu erleben. „Ocean wave“ nennt sich diese Rauminstallation von Jonathan Monk. Ein Spiel mit radikalen Gedanken und Methoden der Kunstgeschichte. Der formale Ernst der Minimal Art und das strategische Handeln der Konzeptkunst vermengen sich zu einem naiv verspielten Jux Je mit Sehnsuchtsbildern.

Kunst? In diesem Fall zu verstehen als Illustration einer einfach so drauflos geknüpften Assoziationskette. Gedanke 1: Kuratorin Susanne Pfeffer fragt bei dem in Berlin lebenden britischen Künstler an, ob sie seine erste Einzelausstellung in Deutschland ausrichten dürfe. In Bremen. Monk assoziiert sofort „Becks-Bier“, da die Brauerei in Großbritannien (im Gegensatz zu Deutschland) als Kultursponsor sehr stark präsent ist. Gedanke 2: Für Becks stehen doch diese Segelschiffwerbespots, die in Südthailand gedreht wurden (weswegen auch Singha-Bier im Künstlerhaus ausgeschenkt wird) und junge, wohl trainierte Körper vorführen, die Gerstensaft in ihr hübsches Antlitz kippen. Gedanke 3: Diese all-inclusive Urlaubsfantasie von exotischer Fremde und grenzenloser Meeresweite muss man nach Hause, nach Bremen bringen. Gedanke 4: Also schickt Monk einen thailändischen und deutschen Seemann los, mögliche Drehorte an der Weser zu knipsen. Das Ergebnis ist in der Ausstellung dokumentiert. Gedanke 5: Dann muss das Abenteuer-Freiheit-Image der Werbung natürlich kontrastiert werden durch die wahren Freibeuter und Trinker: die Künstler.

So hängen im Künstlerhaus auch Bilder des Holländers Bas Jan Ader (weswegen auch Heineken-Bier ausgeschenkt wird), die ihn bei seinen Fallstudien zeigen. Er ließ sich einfach mal so aus dem Stand zu Boden plumpsen, radelte in eine Gracht, hockte so lange auf einem Stuhl auf einem Hausdach, bis er herunterstürzte. Der Künstler als Inkarnation der menschlichen Utopie, „sich fallen zu lassen, aus dem Gleichgewicht zu geraten, Kontrollverlust zu erleben“ (Pfeffer). So tollkühn direkt Aden dieser Idee Ausdruck verlieh, so ironisch indirekt nimmt Monk sie auf: zeigt alle Dias seiner Ausstellung unscharf, die Filme verkehrt herum – so dass Raum-, Zeit-, Realitätswahrnehmung verrückt werden sollen. Zusätzlich wird der Besucher zum Trinken animiert. Pfeffer: „Ist doch der Alkoholrausch die domestizierte Form emphatischer Grenzüberschreitung des Künstlers.“

Wir normalen Menschen mit unseren kleinen Räuschen werden bestenfalls mit einem „Kater“ geadelt. Der wahre Künstler aber geht an seiner Emphase zugrunde. Selbstzerstörerischer Heroismus. Ganz ohne Komik von Aders praktiziert. 1975 wollte er mit seiner Jolle „Ocean wave“ (immer diese Bezüge) von der Ostküste Amerikas nach England segeln, erklärte diesen wahr- und livehaftigen Becks-Clip zur Kunstaktion „In the search of the Miraculous“ – und kam lebend nirgendwo an.

Da wankt der Ausstellungsbesucher lieber nach Hause – und ist zu Hause. Hat immer noch Lou Reed im Ohr. Just a perfect day? „You made me forget myself. / I thought I was someone else, / Someone good.“ Sich fallen lassen in die Selbstvergessenheit der Liebe. Daheim. Utopie im Alltag! Ein Paradoxon? Eine Illusion? Oder Konzeptkunst?

Tipp: Besuchen Sie das Künstlerhaus möglichst bald, denn Becks hat für den Werbeeffekt dieser Ausstellung nur 15 Bier-Kisten spendiert, die schon zur Hälfte geleert sind. fis

bis 20. Februar, Mi - So 14 bis 19 Uhr

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