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Haft für rassistischen Überfall

Zwei Bauarbeiter werden vom Landgericht für den brutalen Angriff auf einen Afrikaner zu Haftstrafen von über drei Jahren verurteilt. Die Richterin geißelt den Alltagsrassismus im Baugewerbe

VON MAREKE ADEN

Es muss so ähnlich gewesen sein wie in einer Kinowerbung der Bundesregierung, die uns Bürger zu mehr Zivilcourage animieren soll. Zwei jugendliche Männer, einer davon mit Glatze, prügeln nachts auf dem S-Bahnhof Schönhauser Allee auf einen Mann mit dunkler Hautfarbe ein. Beherzt greifen eine Frau und ein Mann ein. Obwohl auch sie bedroht werden, rufen sie den Wachschutz. Die Polizei kommt und nimmt die Schläger fest. Die rassistische Attacke ist abgewehrt.

Der Film der Bundesregierung wäre an dieser Stelle zu Ende, aber das Leben geht weiter. Mamadou D., das Opfer, hat ein gebrochenes Nasenbein, ein lädiertes Gesicht und wird in die Klinik eingeliefert. Der Arzt denkt nicht daran, D. nach dem Übergriff freundlich zu behandeln. Er beschwert sich, dass D. das Blut im Gesicht nicht zur Seite runterlaufen lässt, sondern wegspuckt. So habe er nicht richtig verarztet werden können, berichtet er im Prozess. D. sagt aus, eine Schwester habe ihn angeherrscht: „Wer soll das denn wegwischen?“, als er noch auf seine Behandlung gewartet habe und das Blut einfach floss.

Seine Freunde aus der afrikanischen Gemeinde in Berlin erfahren ganz schnell von dem Vorfall. Sie treffen sich. „Dass das noch möglich ist in diesem Land“, hätten sie sich gesagt, berichtet einer der besten Freunde des Opfers im Prozess. Der Freund sagt aber auch aus: „Man soll im Wedding wohnen, da wo wir am meisten sind, und nicht da, wo man sich verstecken muss.“ Der Norden des Prenzlauer Bergs, wo D. angegriffen wurde, ist eben gefährliches Pflaster für Schwarze, klingt dabei durch.

Zumindest die Staatsanwaltschaft reagiert eindeutig. Weil die beiden Männer mit ihren stahlbekappten Bauarbeiterschuhen zutraten, geht sie zunächst davon aus, dass sie den Tod von D. in Kauf nahmen. Weil sie nach den Angaben des Opfers dabei schrien: „Du Nigger, raus aus Deutschland, was machst du hier?“, und: „Schlag den Nigger tot!“, hat die Staatsanwaltschaft noch „niedrige Beweggründe“ addiert, ein Mordmerkmal. So kam sie zum versuchten Mord.

Aber auch der Prozess ist nicht reif für die Zivilcourage-Werbung. Der Angeklagte Martin O. beteuert, kein Rassist zu sein. D. habe angegriffen. Der Angeklagte Heinrich P. bestreitet alles. Seine Freundin sagt aus, dass sie Rassismus abscheulich findet. Ihre erste Reaktion sei daher gewesen: „Dann will ich nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.“ Aber auch P. habe nie zuvor etwas gegen Schwarze gesagt, erzählt sie. Einer seiner Kollegen auf der Baustelle sei schwarz, und die beiden hätten gemeinsam Drogen genommen; sogar von „Freundschaft“ zwischen den Kollegen spricht sie vorsichtig.

Es ist nicht so, dass das Gericht sie für unglaubwürdig hält. Auch die vorsitzende Richterin sieht es so, „dass die Täter keine hartgesottenen Nazis sind, sie hatten kein politisches Konzept“. Aber im Baugewerbe seien Stammtischparolen nicht selten, und die hätten den Ausschlag gegeben. Dafür spricht, dass der Russlanddeutsche P. seinen Pass herauszog, als die Polizei eintraf, und rief: „Ich bin Deutscher, ich habe ein Recht, hier zu sein.“

Gerade Hilfsarbeiter wie die beiden Schläger hätten nötig, sich sagen zu können: „So doll ist es bei mir nicht, aber es gibt welche, die sind noch unter mir“, sagt die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. „Solcher Alltagsrassismus ist nicht minder gefährlich.“ Weil die Verletzungen nicht lebensbedrohlich gewesen seien, ahndet die Strafkammer allerdings nur gefährliche Körperverletzung und Beleidigung, keinen Mordversuch.

Trotzdem: Die Strafen sollen hoch sein, weil das Gericht damit „Abscheu und Betroffenheit“ zeigen will, und dass das Geschehene „für uns alle ein Albtraum ist“. Die Strafen sollen nicht zu hoch sein, damit die beiden jungen Männer nicht vollkommen aus der Bahn geworfen werden. Zu drei Jahren und neun Monaten wird Heinrich P. verurteilt. Martin O., der im Prozess sofort Reue gezeigt hatte, bekommt sechs Monate weniger. Beide bekommen die Möglichkeit zum offenen Vollzug, sodass sie arbeiten können. Aber ihre Bauarbeiterschuhe werden eingezogen – als Tatmittel. Die Urteilsbegründung hätte man wiederum als Werbespot senden können. Aber mit einer Stunde Länge wäre sie nichts fürs Kino.

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