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Putins weist Kritikern die Tür

Ein neues Gesetzesvorhaben soll Ausländern, die sich „in deutlich despektierlicher Weise“ äußern, die Einreise nach Russland verwehren. Die Formulierungen sind – bewusst – extrem schwammig gehalten

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Diejenigen Reisenden sind in Russland die willkommensten und angesehensten, die sich am ausgiebigsten und längsten zum Narren halten lassen“, schrieb der französische Diplomat Astolphe de Custine nach einer ausgedehnten Reise durch das Russland des Jahres 1839.

Inzwischen ist es wohl wieder so weit. Ein neues Gesetzesprojekt „Über Einreise und Ausreise von Ausländern“, das die kremltreue Mehrheitsfraktion Vereinigtes Russland (VR) letzte Woche der Duma vorlegte, will Russland a priori vor gehässigen Besuchern bewahren. Wer demnächst in „deutlich despektierlicher Weise gegenüber der Russischen Föderation oder den föderalen Organen der Regierung der Russischen Föderation handelt“, dem kann die Einreise verweigert werden. Wer sich abschätzig über „spirituelle, kulturelle“ oder auch „historisch gereifte und allgemein anerkannte gesellschaftliche Werte“ äußert, der muss auch mit einem abschlägigen Bescheid rechnen.

Der Entwurf, der bislang nur in kurzen Auszügen in der Nesawissimaja Gaseta erschien, bleibt außerordentlich vage und lässt den Kontrolleuren bewusst einen unausschöpflichen Interpretationsrahmen. Neben den genannten Verunglimpfungen können auch „andere despektierliche und unfreundliche Handlungen“ mit einem Zugangsverbot geahndet werden. Wer dem „internationalen Ansehen Russlands Abbruch tut“ und dadurch „materiellen Schaden zufügt“, muss sich erst gar keine Hoffnungen auf Einlass machen.

Darüber entscheiden entweder der Präsident, der Föderationsrat, die Duma, die Regierung oder ein Gericht. Die Rangfolge lässt keine Zweifel aufkommen, auf wen die Gesetzesinitiative zurückzuführen ist.

In der Duma, dem russischen Parlament, befasst sich Wladimir Pligin, der Vorsitzende des Verfassungsausschusses aus den Reihen der VR, mit dem Projekt, das insgesamt 300 Seiten umfassen soll. Gegenüber der staatlichen Agentur RIA Nowosti meinte Pligin, das Gesetz ziele vor allem auf Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken ab, deren Migration nach Russland in Dumakreisen bereits nationalistische Stimmungen geschürt habe.

Die umfangreichen Neuregelungen auch beim Transit sollen überdies den Antiterrorkampf verbessern. Artige ausländische Korrespondenten erhalten unterdessen die Möglichkeit, Freunde und Verwandte besuchshalber etwas unbürokratischer ins Land zu holen. Auch mit einem Fünfjahresvisum lockt das Gesetz.

Russlands Staatsdiener dürften indes dem Paragrafen 19, der das Wohlverhalten reglementiert, ihr Hauptaugenmerk schenken. „Dies ist ein anderes Mittel, Kritiker und Opposition zu verfolgen“, meint der unabhängige liberale Dumaabgeordnete Wladimir Ryschkow, der das Vorhaben für eine logische Fortführung des gegenwärtigen autoritären innenpolitischen Kurses hält.

Der Chef des Panorama-Thinktanks, Wladimir Pribylowski, sagte gegenüber der Moscow Times, die postsowjetische Gesetzgebung sei absichtlich schwammig gehalten, damit die Verantwortlichen je nach Bedarf manipulieren könnten: „Wenn sie es für richtig halten, lassen sie einen Spion ins Land oder halten einen Journalisten fern, der den Kreml kritisiert.“

Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet: Ohne weiteres kann auch ausländischen Geschäftsleuten das Handwerk gelegt werden. Sie brauchen sich nur über Korruption im Staatsapparat zu beschweren, wie dieser Tage der Chef der russischen Ikea-Zentrale, Dahlgren, und verstoßen damit gleich zweimal gegen den 19er: „despektierliches Verhalten gegenüber Regierungsvertretern“ und Nichtachtung eines „historisch gereiften allgemein anerkannten gesellschaftlichen Wertes“, kurzum: der Korruption.

Auch westliche Politiker könnte das Gesetz empfindlich treffen, jene, die sich nicht zum Narren halten lassen, Personen und Dinge beim Namen nennen. Müssen sie draußen bleiben? Schließlich hat Kremlchef Wladimir Putin das letzte Wort. Nur Bundeskanzler Gerhard Schröder wird dann noch ein gern gesehener Gast in Moskau sein.

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