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Die Weiterentwicklung

Die deutsche Fußballnationalmannschaft besiegt in Yokohama Asienmeister Japan mit 3:0. Bundestrainer Jürgen Klinsmann ist vollauf begeistert und sieht „etwas Tolles“ heranwachsen

AUS YOKOHAMA MARTIN HÄGELE

Viel besser hätte die Fernost-Tournee der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kaum beginnen können. Selbst Kapitän Michael Ballack war überrascht davon, dass er gleich nach dem Auftaktspiel der Asienreise schon zur Siegerehrung antreten müsste. Da stand er also im Mittelkreis der WM-Arena von Yokohama und bekam erst einen großen Pokal in die Hand gedrückt, den nach einem japanischen Getränkekonzern benannten „Kirin Challenge Cup“. Anschließend musste er auch noch mit den Abbildungen einer Whisky-, einer Bier- und einer Limonadeflasche posieren, die ganze Produktpalette durch. Oder wie einer der deutschen Fans flachste: für jedes Tor eine Flasche.

Nach dem 3:0 und seinem ersten Tor in der Klinsmann-Ära war nicht nur dem vorbildlichen Chef nach Späßchen zumute, schließlich hatte er vor zweieinhalb Jahren an der gleichen Stelle im WM-Finale zuschauen müssen, als die Brasilianer den Weltpokal mitnahmen – und Ballack saß gesperrt am Spielfeldrand. Auch Miroslav Klose, der beim Führungstor einen von Keeper Narazaki zu kurz abgewehrten Ballack-Freistoß ins Netz gespitzelt (53.) und in der Nachspielzeit ein zweites Mal getroffen hatte, zeigte Humor. Jetzt wüssten die Japaner wenigstens, dass er Tore auch mit den Füßen erzielen könne. Beim WM-Turnier hatten Nippons Medien den fünfmaligen Torschützen und Shootingstar der späteren Vizeweltmeister stets als „Kopfball-Ungeheuer“ abgebildet. Allerdings, und das war dann der ernste Blick zurück, „hätte ich viel lieber zweimal im WM-Endspiel getroffen“.

Diese Zeitrechnung spielt nur noch bei ganz wenigen DFB-Auswahlspielern eine Rolle. Äußerlich verdrängen allein schon die roten Hemden jene schwarz-weiße Epoche. Die Mannschaft hat Feuer gefangen an der eigenen Zukunft. Die Art und Weise, wie diese Elf den auf etlichen Positionen geschwächten Asienmeister anpackte, imponierte. Und keiner konnte dies besser spüren als Junichi Inamoto, der WM-Held und wildeste Samurai der blauen Armee. Der Rekonvaleszent von West Bromwich Albion trug in seinem 50. Länderspieleinsatz die Anführerbinde, viel zu bewegen vermochte er freilich nicht. „Weil jeder deutsche Spieler athletisch und technisch stark war“, so Inamoto, deren Selbstvertrauen sei überall zu spüren gewesen.

Selbstbewusstsein und Miteinander zeichnen eine große Mannschaft aus, und nicht nur Jürgen Klinsmann, der schon immer ein Faible für „Teamspirit“ besaß, sieht da „etwas Tolles heranwachsen“. Besonders imponiert dem Vater dieser Mannschaft, wie die Gründungsmitglieder vom Visionsteam 2006 „fähig sind, junge Leute zu integrieren“. Die Debütanten Christian Schulz und Patrick Owomoyela spulten ihren ersten Einsatz für Deutschland A in einer Souveränität und mit so viel Verantwortungsgefühl herunter, als hätten sie schon zigmal in dieser Formation verteidigt. Und als der Bundestrainer eine Viertelstunde vor Schluss auch noch Marco Engelhardt zum Internationalen machte, musste er nur sagen: „Geh da rein, und spiel, als ob du schon ewig dazugehörst.“ Engelhardt hat den Rat selbstverständlich befolgt, „bei 2:0 kannst du nicht mehr viel falsch machen.“ Aber gewundert hat er sich doch, dass ihn Klinsmann persönlich vom Warmlaufen wegholte. In Kaiserslautern ist das ein Job für den Torwarttrainer oder zweiten Masseur.

Wie mag das nur weitergehen mit Jürgen Klinsmanns Jugendwelle? Oder bestand der Deutsche Fußball-Bund bis vor kurzem nur aus Nörglern und Miesepetern, die in der Bundesliga keine Talente mehr und die Fußballnation auf dem Weg zu einem Dritte-Welt-Land sahen? Mit Engelhardt, Schulz und Owomoyela wurden nach Fahrenhorst, Görlitz, Huth, Mertesacker und Hitzelsberger im fünften Spiel unter Klinsmann schon acht Nachwuchsleute berufen. Und es sollen noch ein paar folgen. Man muss nur an sich glauben und den Mut haben, offensiv Fußball zu spielen. Das ist auch eine Botschaft an noch mehr jugendliche Profis, anhand der jüngsten Beispiele an sich zu arbeiten.

Oder an ältere Spieler etwa aus dem 78er-Jahrgang von Miroslav Klose. Für Klinsmann ist der Torjäger von Werder Bremen das perfekte Beispiel, „wie man sich Schritt für Schritt seine Klasse wieder erarbeitet – obwohl Miro ja auch mal einen Hänger hatte“. Nun setzt der ehemalige Pfälzer mit seiner Willenskraft und ständigem Nachsetzen das Signal, den Gegner unter Druck zu setzen und auch zu halten, und ist, auch das gehört zu Klinsmanns Fußball-Logik, für seine Berserkerei mit zwei Toren belohnt worden. Das war es, was der Bundestrainer mit seinem Lieblingswort „Entwicklung“ meint, das ihm in der Pressekonferenz ein Dutzend Mal von den Lippen kam.

Er hat es allerdings auch vorab gebraucht, in der Mannschaftsbesprechung: „Jeder soll sich einmal selbst überlegen, wo wir im August gestanden haben, und wie sich jeder Einzelne seither weiterentwickelt hat.“ Auch so kann man eine Mannschaft motivieren. Eigentlich schön.

Japan: Narazaki - Kaji, Chano, Tanaka, Alex (83. Nishi) - Ogasawara, Inamoto (70. Endo), Fukunishi, Fujita (70. Miura) - Suzuki (46. Tamada), Takahara (70. Okubo)Deutschland: Kahn - Owomoyela, Mertesacker, Wörns, Schulz - Schneider (73. Borowski), Ballack, Ernst (77. Engelhardt), - Asamoah, Klose, Podolski (62. Schweinsteiger)Zuschauer: 61.805; Tore: 0:1 Klose (54.), 0:2 Ballack (69.), 0:3 Klose (90.)

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