: Das Montagsinterview„Die Varusschlacht ist ein Nebeneffekt“
Vor tausendneunhundertneunundneunzigeinhalb Jahren metzelte Arminius Römer – wahrscheinlich in KalkrieseMUMIFIZIERTE GRAUSAMKEITEN In Kalkriese untersuchen Susanne Wilbers-Rost und Achim Rost seit 20 Jahren ein antikes Gemetzel – das viele Parallelen zu den Beschreibungen der legendären Schlacht im Teutoburger Wald aufweist
INTERVIEW TERESA HAVLICEK UND BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Frau Wilbers-Rost, Herr Rost, freuen Sie sich aufs 2000-Jahr-Spektakel – oder stört das?
Susanne Wilbers-Rost: Das ist sehr ambivalent. Selbstverständlich freuen wir uns über das Interesse an unserer Forschung und unseren theoretischen Überlegungen. Allerdings verdankt sich viel von dem Trubel der Tatsache, dass Varusschlacht und Arminius-Figur nationale Mythen sind – die nicht im Zentrum unserer Arbeit stehen.
Was denn dann?
Wilbers-Rost: Wir erforschen keine Mythen, sondern ein Kampfgeschehen.
Das klingt, als wäre Ihre erste Frage gar nicht, ob das hier die Varusschlacht war?
Achim Rost: Die Varusschlacht ist für uns ein Nebeneffekt, nicht die Hauptsache. Unsere Grundlagenforschung wird vor lauter Varus-Begeisterung manchmal kaum wahrgenommen.
Aber ohne Hermann-Hype gäb’s keine Touristen sprich: weniger Geld?
Wilbers-Rost: Nun, die Forschung ist durch Drittmittel finanziert. Das sind Projektmittel, die alle paar Jahre neu beantragt werden müssen.
Was war Ihr erster Kontakt mit der Varusschlacht?
Wilbers-Rost: Das war, als wir hier anfingen – 1987 hatte der Amateur-Archäologe Tony Clunn hier römische Silbermünzen gefunden …
Wie, nicht das olle „Als die Römer frech geworden“-Lied?
Wilbers-Rost: Das Lied kennen wir. Aber das war kein Impuls. Wir haben ja nicht nach der Varusschlacht gesucht. Als wir hier anfingen, gab es römische Funde und die Frage: Wo kommen die her? Dabei war der erste Gedanke, es könnte hier ein Lager gegeben haben. Dass es sich um ein Schlachtfeld handelt, hat sich erst allmählich gezeigt.
Sie hatten beide Ethnologie neben Archäologie studiert –und forschen seither im Osnabrücker Land. Wie geht das zusammen? Ist das hier hilfreich?
Wilbers-Rost: Das ist ein durchaus übliches Nebenfach. Dass ich 22 Jahre hier graben würde, wusste ich aber am Anfang nicht …
Rost: Als Prähistoriker haben wir oft das Problem, dass wir zu den gesellschaftlichen Hintergründen wenig wissen. Das Wissen der Ethnologie über kulturelle Kontexte kann da eine Denkhilfe sein, auch für Schlachtfeldarchäologen: Eine Schlacht ist ja ein kulturgeschichtliches Phänomen. Und die Artefakte, die wir finden, sind Spuren von Handlungsabläufen. Wir versuchen, die dahinter stehenden menschlichen Verhaltensweisen zu erkennen.
Wobei Sie weniger Artefakte, als Knochen finden?
Wilbers-Rost: Gar nicht mal so viel: Wir haben hier, anders als man beim Namen Kalkrieser Berg erwarten würde, viel Sandboden, in dem Knochen schnell vergehen. Unter dem eingestürzten Wall haben wir allerdings ein komplettes Maultierskelett entdeckt, weil an dieser Stelle Kalksteine in die Rasensodenmauer eingearbeitet waren. Außerdem haben wir Gruben gefunden, in die Überreste von Gefallenen gelegt worden waren. Das hat uns zunächst erstaunt. Unsere These war, dass sie einige Jahre nach der Schlacht eingesammelt wurden, vielleicht durch Germanicus um 15 nach Christus …
… wie es Tacitus schon schildert?
Wilbers-Rost: Genau. Anthropologen und Zoologen haben festgestellt, dass diese Knochenfragmente zwischen zwei und zehn Jahren an der Oberfläche gelegen hatten, bevor sie bestattet wurden. Das würde der Schilderung entsprechen.
Und daran lesen Sie ab, dass es hier Leichenfledderei gab?
Rost: Weniger an den Knochen, als an den Rüstungsteilen, die wir hier auf dem Oberesch häufig finden, und die fest mit dem Legionär verbunden waren – Panzerschließen etwa, Scharniere oder Gürtelbeschläge. Dafür wäre Leichenfledderei eine plausible Erklärung: Wenn die Ausrüstung gewaltsam von einem Toten entfernt wird, reißen Kleinteile ab und können beim Plündern übersehen werden. Die Germanen hatten ja kein Interesse, sich um tote Römer zu kümmern. Die ließen sie an Ort und Stelle liegen – und waren offenbar nur an der metallreichen Beute interessiert.
Warum ist das wichtig?
Rost: Wenn die Interpretation mit der Leichenfledderei stimmt, hieße das: Hier ist wirklich eine römische Armee untergegangen. Denn, wenn ein Heer sich auch nur halbwegs aus einer Schlacht retten kann, versucht es, Tote und Verletzte zu bergen. Dann gibt es vielleicht ein Massenbegräbnis – und auch dabei gehen Kleinteile verloren. Aber sie wären nicht so weit verstreut. Solche Beobachtungen sind auch losgelöst von der Hypothese Varusschlacht interessant für die Archäologie – weil uns, anders als etwa bei Gräberfeldern, noch nicht so klar ist, welche Abläufe die Fundüberlieferung beeinflussen. Dafür müssen wir erst noch Interpretationen erarbeiten.
Also: grausamste Vorgänge rekonstruieren. Belastet Sie das?
Wilbers-Rost: Sicher ist das belastend. Wir wissen: Hier, auf diesem heute friedlichen Gelände hat kein Geplänkel zwischen Römern und Germanen stattgefunden. Die Spuren im Sand entstammen einem sehr brutalen, blutigen Geschehen. Aber das geht nicht so weit, dass es uns den Schlaf rauben würde. Oft sind die Dinge, die wir ausgraben, noch verkrustet und wir wissen nicht so genau, worum es sich handelt – etwa, ob das ein Tier- oder ein Menschenknochen ist. Das klären Fachleute, Zoologen oder Anthropologen.
Rost: Für uns geht es, ähnlich wie bei einem Pathologen, um Versachlichung und Abstraktion – auch wenn das herzlos erscheinen mag. Es geht hier um die Erforschung der damaligen Ereignisse und darum, die Methoden der Archäologie weiterzuentwickeln. Dabei ergeben sich Diskussionsthemen mit Althistorikern: Wir können dazu beitragen, die Schriftquellen kritisch zu betrachten – angefangen bei Tacitus.
Wilbers-Rost: Manchmal haben wir aber den Eindruck, dass solche neuen Ansätze nicht nur auf Zustimmung stoßen.
Bei Peter Kehne etwa: Der fordert, strikt von den Text-Quellen auszugehen?
Wilbers-Rost: Wir suchen nicht nach einer Vorgabe und auch nicht nach der Wunschliste von Historikern. Wir untersuchen, was wir hier finden …
… um es dann im Licht der Quellen zu deuten?
Wilbers-Rost: Wir interpretieren zunächst aus den archäologischen Funden heraus – und ziehen dann auch die Schriftquellen heran. Wir haben aber, wie gesagt, nicht nach der Varusschlacht gesucht, wir haben weder nach einem Grabhügel noch nach einem Wall gesucht. Wir haben einen entdeckt, den man als Hinterhalt interpretieren kann – und die Römer haben von einem Hinterhalt geschrieben. Wir haben hier zufällig archäologische Funde gemacht – und die lassen sich nicht interpretieren, ohne die Varusschlacht in Erwägung zu ziehen.
Rost: Die Historiker arbeiten seit 500 Jahren an ihrer Quellenkritik zu Tacitus. Wir erarbeiten hier gerade eine Art archäologische Quellenkritik für Schlachtfelder – also etwas, das erst seit den 1980er-Jahren überhaupt in Angriff genommen wird, überwiegend an neuzeitlichen Kriegsschauplätzen. Bei antiken Schlachtfeldern wurde das noch nie durchgeführt. Man kann nicht erwarten, dass wir das alles innerhalb weniger Jahre perfekt entwickeln. Mitunter ziehen wir dabei viel Nutzen aus ernsthaften Einwänden von Historikern wie Reinhard Wolters ziehen. Die Kritik ist oft ein Ansporn …
… selbst wenn Sie als Zitier-Kartell beschimpft und anonym angezeigt werden?
Wilbers-Rost: Für konstruktive Einwände sind wir immer offen. Wenn aber versucht wird, das Projekt zu attackieren und in Grund und Boden zu stampfen, dann kann das nur schaden: Man wird diese destruktive Kritik so schnell nicht mehr los. Die eigentlichen Motive dafür erschließen sich schwer – ist das Ärger, weil jemand nicht selbst beteiligt ist, oder der Wunsch, Varusschlacht-Funde lieber in der eigenen Region zu haben? Es ist ja auch immer wieder danach gesucht worden, sogar in den letzten Jahren noch. Man hat aber bisher nirgends Indizien entdeckt. Außer in Kalkriese.
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