normalzeit: HELMUT HÖGE über Sprachenspiele in Kreuzberger Soziotopen
Alles tamam am Görli!
Das „Advena“ (Der fremde Gast) in der Wiener Straße wird von Ali und Bülent Karasahin bewirtschaftet, werktags ist es schon fast eine taz-Stammkneipe, an den Wochenenden finden dort Oriental-Pop-DJs ihr Auskommen, dazu zeigt dort ein Istanbuler Künstler Dias aus seiner Heimatstadt sowie lehrreiche Unter- und Überwasserfilme ohne Ton.
Seit kurzem ist das „Advena“ außerdem noch an jedem Dienstagabend ein „Language-Café“ – dann sitzen dort einige Dutzend Leute um ein Würfelspiel namens „NewAmiciVille“, mit dem man Italienisch, Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Norwegisch lernen kann. Erfunden hat es der weltreisende Finne Lakki Patey in Norwegen, wo er es bisher über 42.000-mal verkaufte – und zwar hauptsächlich in Kneipen bzw. Cafés, wohin er alle am Sprachenlernen interessierten Leute einlud, um sie in sein Brettspiel einzuweisen. Als er das Gefühl hatte, nun läuft es von allein, kaufte Lakki Patey sich zusammen mit seiner norwegischen Freundin ein Wohnmobil und fuhr damit nach Deutschland, wo die beiden nun ebenfalls aus diversen Kneipen „Language-Cafés“ machen. In Berlin entschieden sie sich sich nach einigem Suchen für das „Advena“. Um Spieler warben sie hier mittels Aushängen an den diversen Sprachschulen und Uniinstituten.
Jeden Dienstag verteilen die beiden Wirte nun an alle Interessierten kostenlos Brettspiele, man kann sie dort aber auch für zu Hause kaufen, außerdem gibt es sie in etlichen Spielwarenfachgeschäften – für knapp 40 Euro. Das von Lakki Patey entwickelte „Sprachenspiel“ wird von der Drolshagener Firma „California Products GmbH“ vertrieben.
Beim ersten Spiel-Dienstag im „Advena“ meinte Lakki: „Sprache ist eine Brücke zwischen den Kulturen, und ‚New Amici‘ ist der Schlüssel dazu. Wunderbar, dass so viele Menschen gekommen sind, um diesen Schlüssel gemeinsam auszuprobieren.“ Spanier, Norweger, Türken, Deutsche und Italiener hatten sich im „Advena“ eingefunden. Neben den Sprachversionen (z. B. Spanisch/Deutsch) mussten sie zunächst zwischen drei Schwierigkeitsgraden wählen (Gelb, Orange, Rot) sowie während des Spiels zwischen mehreren Bereichen (Zahlen, Alltagsfloskeln, Geografie etc.). Dazu wurde getrunken, gewürfelt und geraucht, außerdem boten Ali und Bülent Karasahin noch einen kostenlosen Imbiss für alle Spieler an.
Hinterher fragte ich einige Gäste, wie sie das neue Sprachspiel fanden: Sie betonten vor allem, das es interessant gewesen sei, auf diese spielerische Art mit Fremden bzw. Fremdsprachigen in Kontakt gekommen zu sein – und das auf so unterhaltsame Weise, stundenlang und dazu ohne die sonst üblichen dummen Vorstellungsfragen (What’s your name?, Where do you come from?, What are you doing in Berlin? etc.), nach denen man oft nicht mehr weiterweiß und sich in Höflichkeiten verliert.
Am ersten Dienstag, zu dem das norwegische Fernsehen sowie der Berliner Korrespondent einiger norwegischer Zeitungen erschienen waren, wurden anschließend unter den etwa 40 Spielern noch drei Preise verlost. Am zweiten Dienstag waren dann nicht mehr ganz so viele Spieler da, sie integrierten sich dafür zwangloser in das normale Kneipengeschehen. Ihre Betreuung hatten Ali und Bülent übernommen, denn Lakki Patey und seine Freundin waren schon wieder unterwegs, um weitere „Language-Cafés“ zu schaffen.
Inzwischen gibt es in der BRD bereits vier: den „Spielplatz“ in Köln, die „Pony-Bar“ in Hamburg, das „Lot Jonn“ in Düsseldorf und eben das „Advena“ in Berlin, wo demnächst auch noch Lesungen mit türkischen Autoren, die auf Deutsch schreiben, stattfinden.
Zwar ist das „Advena“ der Brüder Karasahin noch nicht so rentabel wie die Liebling-Kreuzberg-„Stiege“, die älteste Kreuzberger Pizzeria „Samira“, der Kanzlertreff „Jasmin“ und die anderen Kneipen der drei alteingesessenen palästinensischen Brüder, deren Namen ich gerade vergessen habe, aber dafür entwickelt es sich zunehmend zu einem türkisch-deutschen Yuppielokal, besonders an den Tanzabenden, wenn Cem Özdemir und seine AL-Gang dort aufkreuzen.
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