REICHT’S JETZT MAL MIT FUSSBALLGUCKEN?:
Pro
NILS FOLCKERSIST KURATOR DER CARICATURA-GALERIE FÜR KOMISCHE KUNST IN KASSEL
Der Samstagnachmittag gehört mir. Also mache ich, was ich am liebsten tue: Ich gehe in die Kneipe, trinke Bier, rauche, gucke Fußball und pöbele dabei lauthals mit den anderen Stammgästen gegen die Spieler und Schiris um die Wette.
Das Alter dieser Stammgäste erstreckt sich über drei Generationen. Wir haben keine gemeinsame Herkunft und verdienen unser Geld nicht auf die gleiche Art und Weise. Aber vor allem bevorzugen wir verschiedene Vereine. Dadurch entstehen je nach Spielpaarung und Tabellenstand unterschiedliche Koalitionen und manchmal sogar Verbrüderungen. Witze, Spott und Mitleid werden je nach Endstand solidarisch immer neu verteilt. Es sind also die ganz simplen männlichen Freuden. Meine Freundin akzeptiert das. Als wir uns kennen lernten, habe ich ihr frühzeitig von meiner Samstagsgestaltung erzählt. Sie konnte frei wählen.
Ligaverband und Premiere dagegen lassen uns keine Wahl mehr. Jeder weiß, das Bier und Fußball panem et circenses unserer Zeit sind. Darum hatte ich ja auch irgendwann beschlossen, daran meinen Spaß zu haben. Die besten Athleten treffen im kapitalträchtigsten Sport aufeinander. Warum sollte ich mir das entgehen lassen? Ganz einfach! Die Profitmaximierung wird überzogen. Aus circa zwei Stunden am Samstag wird nun das ganze Wochenende werden. Erst wurden in der 1. Bundesliga Sonntagsspiele eingeführt, dann ein Spiel am Freitag. Ab der Saison 2009/10 werden die Sonntagsspiele nun zeitversetzt ausgetragen. Ein „Spitzenspiel“ wird in Zukunft am Samstag um 18.30 Uhr angepfiffen und nicht wie die anderen Spiele um 15.30 Uhr. Dafür bietet Premiere im Anschluss an dieses Spiel die ganze Nacht über Zusammenfassungen und Wiederholungen der bisherigen Partien.
Damit wird sich die bisherige wilde und kreative Mischung meiner Mitfußballgucker auflösen in dumpfe, festgefügte Fangemeinschaften, die alle zu ihrer persönlichen Anstoßzeit einlaufen. Statt Interaktion und gemeinschaftlicher Katharsis nur noch Vereinsmeierei, Langeweile und Ödnis. Es ist an der Zeit, rauszubekommen, was man am Samstagnachmittag noch so alles machen kann.
Contra
JÜRGEN ROTH IST SCHRIFTSTELLER IN FRANKFURT/MAIN
Schlägt man montags etwa den Sportteil der Süddeutschen Zeitung auf, stößt man unweigerlich auf einen Spielberichtsanfang wie diesen: „Der frisch geduschte Jens Lehmann setzte sein ernstes Jens-Lehmann-Gesicht auf, spannte die Gesichtsmuskeln an und spitzte den Mund.“
Braucht es das? Braucht es diesen zur Marotte gewordenen Gestus des feingeistigen Reporters, der so ostentativ „genau beobachtet“, dass einem die Locken auf der Glatze zu Berge stehen? Müssen, wenn es um Fußball geht, ständig diese bei den Haaren herbeigezerrten „Geschichten“ erzählt werden, gespickt mit pseudoimpressionistischen Partikeln und schlimmstenfalls garniert mit Theoriegerümpelfragmenten, die im Feuilleton aufgelesen wurden?
Unterdessen sehnt man sich nach der in Grund und Boden geschmähten Einszunullberichterstattung, nach dem hölzernen, unprätentiösen Geschreibsel der Alten. Oder pfeift eben auf die im Zeitungsalltag obligatorische Secondhand-Literarisierung des Fußballs und zieht das schlicht verfaselte Fußballfernsehen vor, und zwar in einer mit uneitlen Rappelköpfen und sonstigen Stegreifstarkrhetoren vollgerammelten Kneipe.
Für das Fußballgucken in einer traditionellen Bierwirtschaft spricht vielerlei. Das allseitige Geschnabel, Entrüstungsgeblöke und Jubelgeschrei, die amorphe Akustikkulisse übertüncht zuverlässig das Geplapper im Fernsehkasten. Die geistigen Getränke sind frisch und gekühlt. Die geistige Haltung changiert zwischen konzentriertem Verfolgen des Spielgeschehens und, abhängig von der Zusammensetzung der Tresenmannschaft, legerem En-passant-Glotzen. Sind Damen präsent, ist’s ohnehin prima. Den Rest regelt der Fußballgott, live und ohne besserwisserische exegetische Adjutanten.
Im Übrigen scheint mir das Fußballschauen im Kollektiv ein sittliches Sedativ zu sein, eine Art Besänftigung des immer wüster sich gerierenden Gattungswesens Homo sapiens. Widmet sich der Mensch dem Fußball, stellt er keinen Unfug an und molestiert die Welt nicht. Deshalb: weitergucken! Vollrohr rund um die Uhr.
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