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Haiti droht erneut Chaos und Gewalt

Haitis Traum vom friedlichen Neuanfang nach dem Abgang des früheren Präsidenten Jean-Bertrand Aristide ist ausgeträumt: Eingekeilt zwischen Ex-Aufständischen und bewaffneten Aristide-Anhängern agiert Regierungschef Latortue hilf- und erfolglos

AUS SANTO DOMINGO HANS-ULRICH DILLMANN

Jetzt werde alles besser, hatten sich die vermeintlichen Sieger des Aufstandes gegen den damaligen haitianischen Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide Anfang vergangenen Jahres zu erklären beeilt. Die Aufständischen feierten den Abgang von „Titid“, wie er von seinen Gefolgsleuten genannt wird, als einen Neuanfang für das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Die letzten Toten lagen noch auf den Straßen, da wurde schon von einem friedlichen Neuanfang mit finanzieller Unterstützung der „internationalen Gemeinschaft“ gesprochen. Strukturmaßnahmen sollten dem Armenhaus Lateinamerika aus der Krise helfen. Und einst bei internationalen Organisationen angestellte haitianische Technokraten sollten das „korrupte Staatswesen“ reformieren und die Strukturen für einen Staat bilden, der dem Bürger dient.

Der Traum ist längst zu Ende geträumt. Erst gaben sich die Rebellen nicht damit zufrieden, für den Umsturz zwar gesorgt zu haben, dann aber nicht die Früchte davontragen zu dürfen. Sie forderten die Wiedereinführung der unter Aristide abgeschafften Armee. Dann kamen die Naturgewalten. Etwa 3.000 Menschen starben in den südöstlichen Bergen unweit der Hauptstadt Port-au-Prince im Mai unter Schlamm und Geröll. Im September stand die Hafenstadt Gonaïves unter Wasser. Über 3.000 Bewohner der Region starben in der Schlammlawine. „Lawine“, „Erdrutsch“ heißt in der Landessprache: Lavalas.

Ein Name wie ein böses Omen in einem Land, wo niemand an Zufälle glaubt. Denn Lavalas nennt sich auch die Bewegung, die von Aristide einst gegen die sozialen Ungerechtigkeiten gegründet wurde. Und seit die militanten Anhänger des Expriesters Aristide Ende September mit ihrer „Operation Bagdad“ den bewaffneten Aufstand geprobt haben, scheint das Land erneut im Chaos zu versinken. Immer wieder besetzten Exmilitärs ehemalige Kasernen, um Druck auf die Übergangsregierung Gérard Latortue auszuüben.

Die militärische Einsatztruppe der UN-Blauhelme unter brasilianischem Kommando versucht den wachsenden gewalttätigen Auseinandersetzungen in den letzten Monaten militärisch zu begegnen. In den Hochburgen der Chimère genannten militanten Anhänger Aristides in Port-au-Prince wurden Razzien veranstaltet und Waffen beschlagnahmt – vermeintliche und tatsächliche Anführer festgenommen. Trotzdem sind Aristides Leute noch immer in der Lage, ganze Stadtviertel der Hauptstadt zu kontrollieren. Auch wegen Mordes gesuchte Mitglieder der Widerstandsfront wurden inhaftiert. In den USA wurde im Dezember einer ihrer Chefs, Butter Métayer, festgenommen, als er mit einem falschen Pass einreisen wollte. Jetzt drohen seine Anhänger den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen, wenn die Latortue-Regierung nicht dafür sorge, dass Métayer freigelassen werde.

Hilflos und bisher erfolglos, wie selbst diplomatische Vertreter in der haitianischen Hauptstadt eingestehen, versucht sich der Regierungschef, der einst in der Verwaltung der Vereinten Nationen arbeitete, aus dem Zangengriff der bewaffneten Gruppierungen und zunehmender kritischer Stimmen herauszuwinden. Den Exmilitärs bot er eine Abfindung in Höhe von 4.700 US-Dollar an. Die Bürgerbewegung, die immer wieder die geringen Fortschritte seiner Staatsreform kritisiert hat und auf substanzielle Reformen drängt, versucht er mit der Ankündigung von Neuwahlen in diesem Jahr und durch die Schaffung immer neuer Kommissionen zu beruhigen. Den Lavalas-Anhängern droht er dagegen mit Repressionen, die er nur mit ausländischer Militärhilfe realisieren könnte.

Nachdem die Regierung bisher immer Gespräche mit dem gestürzten Aristide abgelehnt hatte, sucht jetzt Interims-Staatspräsident Boniface Alexandre das Gespräch. Er bat seinen Amtsvorgänger, er möge doch durch einen Friedensappell an seine Anhänger zu einem Ende der Gewalt beitragen. Aristide ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Von Südafrika aus, wo er als Gast der dortigen Regierung lebt, schickte er eine Grußbotschaft – an jene, „die im Gefängnis sitzen oder ins Exil getrieben worden sind“.

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