: Wolfsburger Visionen
KUNSTSAMMLUNG Das Kunstmuseum Wolfsburg ist eines der jüngsten Museen in Deutschland und baut seit seiner Eröffnung im Jahr 1994 eine eigene Sammlung auf. Nun feiert das Museum seinen 15. Geburtstag und zeigt unter dem Titel „Gegen den Strich“ Werke aus der eigenen Sammlung
Das Kunstmuseum entstand 1994 durch eine Anschubfinanzierung von VW, der Stadt Wolfsburg und durch private Spenden.
■ Architektonisch wurde es vom Hamburger Büro Schweger & Partner als eine offene Stadtloggia mit einem weit überspannenden Glasdach entworfen
■ Die zentrale Halle hat eine Grundfläche von 1.600 Quadratmetern und eine Höhe von 16 Metern. Sie eignet sich besonders für die Präsentation von großflächigen Werken und Installationen
■ Der so genannte Japangarten des Architekten Kazuhisa Kawamura entstand 2007 im Inneren des Gebäudes als ein Ort der stillen Betrachtung
VON KLAUS IRLER
Auf den Flyern des Kunstmuseums Wolfsburg befindet sich fast immer eine Deutschlandkarte. Wolfsburg ist auf dieser Karte am größten geschrieben und in der Mitte platziert. Um Wolfsburg herum gruppieren sich zwölf Städte wie Berlin, Hamburg, Hannover und Bremen. Alle diese Städte sind durch eine gerade Linie mit Wolfsburg verbunden, die für die jeweilige ICE-Verbindung stehen. Mittgeteilt wird dazu die jeweilige Fahrtzeit: Von Berlin nach Wolfsburg braucht der ICE eine Stunde. Von Hannover nach Wolfsburg 30 Minuten. Von Hamburg aus zwei Stunden 15 Minuten. Von Bremen aus sind es eine Stunde und 50 Minuten.
Die kleine Landkarte erzählt komprimiert von dem Konstruktionsfehler, mit dem das Kunstmuseum Wolfsburg seit seiner Eröffnung im Jahr 1994 umgehen muss. Das Kunstmuseum ist groß, es kümmert sich um große Kunst und Wolfsburg ist klein. In der Stadt selbst gibt es zu wenig Publikum für zeitgenössische Kunst, also ist das Kunstmuseum auf Besuch von außen angewiesen. Die andere publikumsrelevante Neugründung in Wolfsburg, der Fußballverein VfL, hat es da einfacher: Jedes zweite Wochenende ist Auswärtsspiel.
Zu seinem 15-jährigen Geburtstag zeigt das junge Museum derzeit eine Ausstellung mit über 110 Exponaten aus seiner Sammlung. Die Ausstellung soll einen Überblick geben über die Arbeiten, die das Kunstmuseum in den 15 Jahren seines Bestehens erworben hat. Konzipiert ist sie als Überblicksausstellung, die ältere Werke jüngeren gegenüberstellt und Werke aus verschiedenen Genres wie Malerei, Fotografie, Installation oder Video versammelt. Die Werke stammen in der Regel von Künstlern, die zu Stars geworden sind: Es gibt Fotos von Andreas Gursky oder Nobuyoshi Araki, Malerei von Elizabeth Peyton oder Neo Rauch, Installationen von Bruce Nauman oder Damien Hirst und Videokunst von Nam June Paik. „Die haben, was man gern haben möchte“, hatte bereits zum 10. Geburtstag der frühere Leiter der Hamburger Galerie der Gegenwart, Christoph Heinrich, gelobt.
Ausgangspunkt der Wolfsburger Sammlung ist das Jahr 1968, ein „markantes Datum“, sagt Kunstmuseum-Direktor Markus Brüderlin, „ab dem wichtige Künstler aufgetaucht sind“. Unter Brüderlins Vorgänger Gijs van Tuyl kaufte das Kunstmuseum Werke der Minimal und Conceptual Art, der Arte Povera und der Medienkunst. Man habe eine starke internationale Ausrichtung verfolgt, sagt Brüderlin und wollte außerdem einen eigenen Akzent unter den Museen Norddeutschlands setzen. Man habe den Fehler nicht gemacht, auf die Jungen Wilden vom Anfang der 1980er Jahre zu setzen, habe dafür aber Werke von Neo Rauch und Andreas Gursky angekauft, als beide noch jung und bezahlbar waren. Gursky, erzählt Brüderlin, habe es sogar als den Startschuss seiner Karriere bezeichnet, als das Kunstmuseum Wolfsburg bei ihm einkaufte.
Das Kunstmuseum Wolfsburg ist ein privates Museum, das von der Kunststiftung Volkswagen getragen wird. Diese wiederum erhält einen Großteil ihres Geldes aus der Stiftung des Ehepaares Asta und Christian Holler, das 1948 in Wolfsburg einen Versicherungsdienst für Autos gegründet hatte. Zur Eröffnung des Kunstmuseums gab es einen satten Etat zum Aufbau einer eigenen Sammlung, über dessen genaue Höhe Brüderlin nichts sagen möchte. Mittlerweile „sind die Mittel nicht mehr die, dass man die Sammlung vernünftig weiterentwickeln kann“, sagt Brüderlin. Man müsse sich also etwas überlegen – und hat zum 15. Geburtstag 15 Werke benannt, die man gerne geschenkt oder finanziert bekäme. Prompt schenkte der VW-Konzern dem Haus die Arbeit „Pyongyang“ von Andreas Gursky.
Es seien die Schlüsselwerke der Künstler, die man haben wolle, sagt Holger Broeker, der die Sammlung kuratiert. Einerseits müsse man kaufen, solange die Arbeiten eines Künstlers noch erschwinglich seien. Andererseits ist das Credo bei Ankäufen: „Das Werk muss Bestand haben.“ Als Erinnerung an die Flüchtigkeit des Qualitätsbegriffs haben die Wolfsburger ein Werk von Michelle Majerus in die Sammlung aufgenommen. Es heißt: „What looks good today may not look good tomorrow“. Besonders stolz sind sie, dass sie sich Anfang der 1990er dazu entschlossen haben, günstig Arbeiten von Andreas Gursky anzukaufen. 2006 erbrachte eine Arbeit von Gursky auf einer Auktion in New York einen Preis von über 2,2 Millionen Dollar. Die eigenen Werke mit Gewinn wieder zu verkaufen, liegt allerdings „nicht im Interesse des Kunstmuseums“, sagt Broeker. „Wir sind bemüht, die Arbeiten in die Sammlung einzubinden. Jedes Werk, das hinzukommt, wird Teil eines Organismus.“
Und jedes Werk erlebt mitunter eine eigene Geschichte, wenn es ab und an in einer Ausstellung gezeigt wird. Die Arbeit „A Hundred Years“ von Damien Hirst beispielsweise ist eine gläserne Box mit einer Fliegenfalle, in der lebendige Fliegen vor den Augen der Besucher verglühen. Die Arbeit sorgte nicht nur für das Wort „Skandal“ in der Presse, sondern auch für Widerstand durch Tierschützer. Sie stammt aus dem Jahr 1990 – und ist neunzehn Jahre später bereits museumsreif.
bis 13. September 2009
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