piwik no script img

Weltschmerzfrei?

Neue Microdramen über Butzbacher & Brommelmeier: Hans Königs „Porte Dauphine“ in der Schwankhalle

Die Zeit ist nun wahrlich ein schäbig uns bedrängendes Ding, das es verdient, ausgemerzt zu werden. Dann wären wir zeitlos. Endlos. Weltschmerzfrei? Jedenfalls nicht mehr scheintot an die vernünftige Welt der Gewohnheiten gebunden. Hinfort also mit dem Mehltau der eigenen Biografie, hinweg mit dem Diktat des Wirklichen. Statt dessen eine Prise Unbewusstes, eine Handvoll Unlogik und reichlich Unbegreifbares. Gitarre nicht vergessen – und erst mal urlauben in all der Ewigkeit.

So ähnlich mögen Butzbacher & Brommelmeier (B&B) gedacht haben, als sie vor 15 Jahren – nach herzzerreißenden Verletzungen ihrer Jungseitelkeit – Deutschland verließen, um mediterrane Sonne in der würzigen Kargheit Korsikas zu genießen. Beglückende Ereignislosigkeit stillstehender Zeit. Gedanken flanieren, Fantasie ausufern, Tagträumereien mäandern lassen. Sich verschwenden. Dasein als poetische Abschweifung. So der Aussteigerplan. So wird er bis heute durchgehalten. Korsika. Bonifacio, Rue Archivolto 6, dort hocken im Zeitvakuum immer noch unsere Helden, in grenzenloser Kumpelhaftigkeit einander zugetan. Wenn sie ihrer Sangesfreude gerade nicht nachgehen, verfallen sie wie eh und je der Sprachspielleidenschaft: kitzeln, quetschen und streicheln so lange an Worten herum, bis diese aufplatzen - und als absurde Hohlformen mit Gelächter gefüllt werden können. B&B sehen aus wie „Lebenskünstler, zu alt, als dass das noch als Phase durchgehen könnte“, heißt es in den neuen Microdramen, die Hans König (Autor, Komponist, Brommelmeier) und Mateng Pollkläsener (Butzbacher, Extremist des Mienenspiels, das um seine Mozartkugelaugen tobt) in der Schwankhalle zur Premiere brachten. B&B sind jetzt etablierte “Freizeitprofis“. Ihr Leben und das Stück darüber, „Porte Dauphine“, wirken ruhiger, gelassener, versonnener als einst. Mit einem Wort: normaler. Das macht empfänglich für Abwechslung. Etwa für Signale aus Parallelwelten. Von einer Dose Sauerkraut fühlt sich Butzbacher im Supermarkt angesprochen. Er kauft die eingekochten Weisheiten. Auf dem Etikett steht „Gottes Kraut“. Und es spricht: „Gott ist in allem und jedem.“ Butzbacher: „Es ist schwierig zu glauben, dass Du Gott bist.“ Sauerkraut: „Ist es einfacher zu glauben, dass dein Sauerkraut spricht?“ So blödelt es sich dann ganz hübsch. Minutenlang. Bis Butzbacher das Kraut verspeist. Roh. „Hinterher hatte er starke Blähungen, aber von hier ab war Gott in ihm.“ Und gebiert Visionen. Die sollen hier nicht verraten werden. Nur so viel: B&B fühlen sich magisch angezogen von der Pariser Metrostation „Porte Dauphine“ – und wagen eine Expedition aus der gelebten Utopie ihrer Tagedieberei zurück in die Zeit. Im metropolitanen Chaos geraten sie in die Klauen der Kunstvermarkter, entdecken lachende Flundern und ein geheimnisvolles Jenseits, wo all die Einzelsocken, die unseren Waschmaschinen entschlüpft sind, geringelt und geblümt herumtollen. Und . . . und dann flüchten B&B doch bald wieder – auf dass es kein vor und zurück mehr, wie gehabt nur noch Korsika gibt. Dort können die „Daseinsverschleißer“, wie sie von einem sprechenden Schirm genannt werden, in ihren rumorenden Köpfen wieder mit Wirklichkeitspartikeln jonglieren, frei und assoziativ, mit kindlichem Charme. Immer noch Bremens sympathischstes Theaterkonzept – für alle Zeitverlierer. fis

Bis einschließlich Sonntag täglich um 20 Uhr in der Schwankhalle (Buntentorsteinweg)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen