piwik no script img

Die Orgeln von Arp Schnitger als Pilgerziel

Für einen Fußmarsch von 466,64 Kilometern muss man gute Gründe haben. Johann Sebastian Bach hatte sie, als er sich 1705 auf den Weg vom thüringischen Arnsbach nach Lübeck machte: Er wollte endlich den unverwechselbaren Klang der norddeutschen Schnitger-Orgeln kennen lernen. Dass er diesen Kraftmarsch bereut hätte, ist nicht überliefert. Woraus sich schließen lässt: Das Instrument, das er in Sankt Marien zu hören und zu spielen bekam, war jeden einzelnen Schritt wert. Heute existiert nur noch der Prospekt, die Fassade der Orgel. Sie selbst wurde im 19. Jahrhundert durch eine fettig-romantische Getösemaschine ersetzt.

Arp Schnitger ist ein wahrer Spross der Wesermarsch: In Schmalenfleth, das heute zu Brake gehört, wurde er 1648 geboren. Mit 18 Jahren zog er nach Glücksstadt (Unterelbe), um Orgelbauer zu werden. Als sein Meister Behrendt Huß 1676 starb, übernahm Schnitger den Betrieb, erweiterte ihn und verlagerte ihn nach Hamburg. Bereits die erste Orgel, die er dort schuf, wurde weltberühmt: Mit 67 Registern, vier Manualen und 4.000 Pfeifen – die schwerste wog 860 Pfund – galt sie damals als das größte je von Menschenhand geschaffene Instrument, bis sie 1842 dem großen Brand zum Opfer fiel. Sie machte aus der Nikolai-Kirche eine Pilgerstätte für Musikkundige aus aller Welt.

Schnitger erhielt Aufträge aus dem gesamten norddeutschen Raum, aus den Niederlanden, England, Russland, Spanien und Portugal. Verlustgeschäfte allerdings für den Meister: „Da ich durch meine Tätigkeit einen guten Namen bekam“, klagt Schnitger in einem der wenigen erhaltenen Selbstzeugnisse, „berief man mich oft auf große Entfernungen, was viele Unkosten verursachte; das übrige Hin- und Herziehen ist mir bei weitem nicht bezahlt worden.“ Ein unlösbares Problem: Denn die Instrumente sind nicht transportabel, wurden in dem jeweiligen Raum und für ihn konzipiert. So ist die Zahl der 170 von Schnitger geschaffenen Orgeln mittlerweile auf 30 erhaltene gesunken. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte, angeleitet durch das Hamburger Universalgenie Hans Henny Jahnn sowie den Theologen Albert Schweitzer, dass es sich bei ihnen um wahre Heiligtümer handelt, denen man sich in aller Demut zu nähern hat. bes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen