: Sehnsucht nach Narkose
Vom Weltschmerz zur Welttournee: Fast wäre aus Maximilian Hecker mal ein Superstar geworden. In der Kalkscheune bewies er nun, dass man sich um ihn zumindest keine Sorgen machen muss
VON CHRISTIANE RÖSINGER
Wäre es nach seinem Label „Kitty Yo!“ gegangen, dann hätte Maximilian Hecker ab 2001 der nächste große Superstar aus Berlin werden sollen. Tatsächlich genoss seine erste CD, „Infinite Love Songs“, durch den Überraschungseffekt große Beachtung: Dass einer sich das traut! Diese übertrieben zur Schau gestellte Wimphaftigkeit! Und dass so ein cooles Mitte-Label so etwas rausbringt: Pianopop mit Streichern und Glockenspiel!
Die süße Sehnsucht, die Sehnsucht nach Sehnsucht wurden durch Hecker wieder entdeckt, sein „uneingeschränktes Ja zum großen Popgefühl“ wurde bejubelt (FAZ). Manchen galt Hecker gar als die Zukunft von Pop schlechthin (taz), dabei polarisierte seine Musik von Anfang an. Vielen Hörern war sein ständiges Verweilen im Falsettgesang schier unerträglich, waren die Verweise auf Travis und Radiohead zu offensichtlich.
Auf das Debüt folgte „Rose“, orchestraler und epischer produziert von Gareth Jones, und die Erfolgsgeschichte Maximilan Heckers führte vom Weltschmerz zur Welttournee – organisiert vom Goethe-Institut, begleitet von Barbara Morgenstern. Die Hysterie um seine neue Veröffentlichung „Lady Sleep“ hält sich dagegen bislang in Grenzen. Die kritischen Stimmen mehren sich, denn Hecker polarisiert noch immer: Schnösel, Mitte –Sensibelchen, Jammerlappen, Muttersöhnchen wird er von den einen geschimpft. Seine Verehrer und Verehrerinnen glauben dagegen, dieser Künstler sei ein Mensch, der eben viel tiefer empfinde als andere – ein Mensch, bei dem Verletzungen und Enttäuschungen in tiefere Seelenschächte fallen als bei Normalsterblichen.
Dabei muss man sehen, dass es sich bei dem empfindsamen Sänger um eine Kunstfigur handelt. Maximilian gibt den Narziss am Keyboard, den Dandy, den selbstverliebten Barden, den Sänger von der traurigen Gestalt. Und der Dandy an sich gibt sich eben eher manieriert als kumpelhaft: Echte Popstars sollten sowieso nie zu nahbar und normal wirken. Zentrales Thema der neuen CD „Lady Sleep“ sind, laut Hecker, Sehnsucht nach Körperlosigkeit, Sehnsucht nach Symbiose, aber auch Liebe, Tod, Narkose, Glückseligkeit und Wahnsinn. Alles prima Themen, die er auch musikalisch in gewohnter Form, vielleicht etwas weniger opulent und entspannter, umgesetzt hat.
So wunderte man sich am Donnerstagabend in der mäßig gefüllten Kalkscheune über die mangelnde Ergriffenheit des Publikums. Denn schön sind die Songs allemal, doch muss man sich in den Falsettgesang erst wieder hineinhören. Wie anstrengend muss es sein, die Stimme immer da oben zu halten?! Das elektrische Piano dominiert, lange Vorspiele, somnambules Geklimper, dazu der gesenkte Kopf und die ergriffene Richard-Clayderman-Haltung.
Vertonte Gefühle, gefühlte Töne erfüllen den Raum: Sehnsucht, Traurigkeit, Betrübnis, Vergeblichkeit … Aber ist es vielleicht doch immer nur ein Gefühl, was da besungen wird, und manchmal auch mit nur einer Melodie? So ist es die reinste Erholung, wenn Hecker zwischendurch zur akustischen Gitarre greift und in tiefere Tonlagen fällt. Schüchtern und unbeholfen wirkt er manchmal, wie ein linkischer Prinz aus dem tschechischen Märchenfilm. Heterosexuelle Pärchen stehen versunken in Löffelchenstellung da und wiegen sich zur Musik. Doch nicht überall herrscht so andächtige Stimmung. Warum unterhalten sich alle so laut miteinander, wo doch da vorne einer sein Herz in Töne gießt? Wo sind überhaupt die ganzen bekannten Konzertgänger und Szeneberichterstatter? Ist der Hype jetzt schon wieder vorbei? Ist das die Kehrseite eines umjubelten Debüts, dass die Begeisterung keine drei CDs andauert?
Maximilian Hecker hat sich letztes Jahr, in einem ganz kurzen Anfall geistiger Umnachtung, für eine Deutschquote im Radio ausgesprochen. In einem taz-Interview dann stellte er in schöner Offenheit klar, er habe dies nur aus rein egoistischen Gründen getan, damit seine Musik mal öfter im Radio läuft. Außerdem würde er sowieso lieber Musik aus England und Amerika hören und auch lieber in Israel oder Indien bekannt sein wollen. Und so ist es wahrscheinlich auch: Hecker ist eher im Ausland ein Star geworden.
Glaubt man den kursierenden Nacherzählungen und der neuesten Legendenbildung, haben die Musiker auf der Goethe-Institut-Welttournee nicht nur Bärenfleisch gegessen und Handyraubüberfalle überlebt, sondern sind auch in ausverkauften Hallen, vor tobenden Vietnamesen und ergriffenen Indern aufgetreten. In Israel war Maximilian Hecker sogar in den Charts!
Bei all seinem Gepose darf man nicht vergessen, dass es sich bei Maximilian Hecker um einen talentierten Multiinstrumentalisten mit großer Musikalität, Willenskraft und ausgeprägtem Selbstbewusstsein handelt. Er wird seine traurigen Lieder auch unabhängig von den gängigen Berliner Moden und Hypes weiterschreiben: Man muss sich um ihn also keine Sorgen machen.
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