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Veränderung oder Spaltung

Bei den türkischen Sozialdemokraten, einzige Oppositionspartei im Parlament, wächst die Kritik an der autoritären Führung. Ein außerordentlicher Kongress soll jetzt über eine neue Spitze entscheiden

AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH

„Entweder die Partei verändert sich dramatisch oder sie wird sich spalten.“ Der Sänger und Schriftsteller Zülfü Livaneli, eines der bekanntesten Aushängeschilder der Republikanischen Volkspartei (CHP), der einzigen Oppositionspartei im türkischen Parlament, nimmt dieser Tage kein Blatt vor den Mund. „Die Partei ist in einem desolaten Zustand“, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Radikal, „aber Parteichef Deniz Baykal will auf niemanden hören.“

Livaneli ist nicht der Einzige, der an seiner Partei verzweifelt. Seit Tagen drucken sämtliche große Zeitungen des Landes Interviews mit mehr oder weniger prominenten Parteimitgliedern, die allesamt anklagend auf die Parteiführung zeigen, die keine politischen Ziele habe, keine innerparteiliche Demokratie zulasse und vor allem „total erfolglos“ sei. Am kommenden Wochenende wird nun ein außerordentlicher Parteikongress über eine neue Führung der türkischen Sozialdemokratie entscheiden.

Tatsächlich ist die altehrwürdige CHP, die Partei Atatürks, wie sie immer noch mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Anerkennung ihrer historischen Leistung genannt wird, in einer schwierigen Situation. Seit sie im November 2002 mit der jetzt regierenden AKP des Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan aus der außerparlamentarischen Opposition heraus den Sprung ins Hohe Haus schaffte, hat sie wenig zur politischen Entwicklung des Landes beigetragen.

Während die islamische AKP mit großem Elan das Land in Richtung EU steuerte und dabei reihenweise Jahrzehnte alte Tabus knackte, gefielen Deniz Baykal und seine engsten Mitstreiter sich in der Rolle nationalistischer Bremser. Konsterniert stellte Livaneli gegenüber Radikal fest, wie sehr sich die Koordinaten der türkischen Politik verschoben haben. Die Partei mit einem islamischen Hintergrund tritt für Westorientierung und Modernisierung ein, während „wir, die Partei der modernen Türkei“, versuchen, das zu verhindern. Schuld soll vor allem Parteichef Deniz Baykal sein, ein bürokratischer Hardliner, der auf jede Kritik bislang mit Parteiausschlussverfahren reagierte.

Seit ein paar Tagen jedoch herrscht offene Rebellion innerhalb der CHP. Auslöser war der misslungene Versuch Baykals, erneut einen parteiinternen Herausforderer durch Parteiausschluss loszuwerden. Zum allgemeinen Erstaunen verweigerte die für Parteiausschlüsse zuständige Disziplinarkommission jedoch den von Baykal geforderten Rausschmiss von Mustafa Sarigül. Dieser ist ein smarter „Tony-Blair-Sozialdemokrat“, der als Bürgermeister des reichen Istanbuler Bezirks Sisli relativ erfolgreich ist und Baykal seit längerem die Führung der Partei streitig macht. Sarigül, ein pragmatischer Populist, der auch schon mal als Neugründer einer liberalen Partei gehandelt wird, ärgert sich über die ideologische Borniertheit Baykals und seine rückwärts gewandte unpopuläre Europapolitik. Er verspricht den CHP-Abgeordneten, nur unter seiner Führung hätte die Partei eine Chance gegen die AKP, weil mit ihm die Partei wieder die moderne Türkei repräsentieren würde.

Doch so sehr die meisten CHP-Mitglieder Sarigüls Kritik an Baykal teilen, ihm selbst trauen viele auch nicht zu, die Partei aus der Krise zu führen. Sarigül gilt als unseriös. Viele Parteimitglieder werfen ihm vor, er greife jedes Thema auf, das Wählerstimmen verspricht. Außerdem hängen ihm mehrere Korruptionsaffären im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften in Sisli an.

Zülfü Livaneli hat sich deshalb vor wenigen Tagen selbst als dritter Kandidat ins Spiel gebracht – als derjenige, der die Partei wieder eint. Doch der Mann, der die besten Chancen gegen Baykal hätte, schweigt. Kemal Dervis, Wirtschafts- und Finanzminister der letzten Regierung vor der AKP, der ehemalige Weltbankmanager, der das Land durch seine guten Kontakte zum Internationalen Währungsfonds 2001 vor dem Bankrott rettete, will zumindest bis jetzt nicht antreten. Dabei wäre eine moderne Sozialdemokratie in der Türkei eminent wichtig. Die konservative AKP hat bereits ein erdrückendes Übergewicht. Wenn es der Opposition nicht gelingt, sich bis zu den nächsten Wahlen in guter Verfassung zu präsentieren, wird Tayyip Erdogan bald zum unumschränkten Alleinherrscher.

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