: Seriöses Albern
„Schlager, lediglich“: Max Raabe, Star der Retro-Zwanziger,a swingt im Musicaltheater durch seine „Palast Revue“. Perfekt bis zur Affektiertheit, aber nie steril
Wo waren Sie eigentlich in den 20er/30er Jahren? Wie unsereins noch eingeklemmt in der Warteschlange drängelnder Seelchen, die gern ganz schnell in diese wilde Zeit stilvoller Verruchtheit hineingeboren werden wollten? Und dann kam man doch erst weit nach dem 2. Weltkriegsdesaster zur Welt. Mit einer nostalgischen Show vor Augen und Ohren können wir Zuspätgeborenen jetzt immerhin einen Nachhall dieser Epoche genießen, ohne dass uns ein ironisch distanzierter Darbietungsgestus den Genuss intellektuell verbrämt.
Schließlich ist dem verehrten Liedgut von damals der süffisant bis sarkastische Unterton bereits zu Eigen. Diese Erkenntnis zelebriert der staatlich geprüfte Bariton und selbst ernannte Entertainer Max Raabe mit seiner „Palast Revue“ im Musicaltheater. Elegant in die Biegung des Flügels geschmiegt – als oberkorrekter Herr im Frack, nur echt mit Stehkragen, Lackschuhen, brillantiniertem Haar. Bewegungslos zumeist Raabes Miene, der Kopf ungläubig geneigt. Keck zischt die linke Augenbraue in die Höhe. Er wolle uns nicht mit einer intelligenten, komplex strukturierten Handlung behelligen. „Schlager, lediglich.“
Seriöses Albern von vorgestern, als Berlin die Welthauptstadt des Amüsements war, als in Amerika der Jazz als Tanzmusik entdeckt wurde – bis irgendwann „O Sole Mio“ bei Capri, die Songkultur im Kitsch untergeht. Drei Jahrzehnte Schlagerkultur, drei Jahrzehnte Glücksvorstellungen. Drei Jahrzehnte Amore, Love, Liebe. So die Themen. Aber auch ein Lied über stachelige Topfpflanzen ist dabei. Die hübsch eingängigen Melodien sind meist mit musikalischer Noblesse in raffinierte Arrangements verpackt, ohne an Geschmeidigkeit zu verlieren. Herr Raabe spricht nicht zu Unrecht von „Drei-Minuten-Opern“.
Man könnte die Songs zum Anlass schmerzlichen Erinnerns nehmen und in den Kontext von Vertreibung und Verfolgung stellen. Oder in ihnen die Sehnsucht nach vermeintlich glücklicheren Zeiten beschwören. Raabe hingegen gibt sich naiv. Perfekt bis zur Affektiertheit, aber nie steril, stellt er die Lieder aus. Eine Pracht, die lustvoll gekonnte Tonbildung, mit der Max Raabe aus samtigen Tiefen durch die Register schwebt – mit manisch gerolltem „R“. Formschöne Professionalität einer unterkühlten Edeldesigner-Stimme, die ihre Manierismen auch in den Conférencen wahrt.
Getrieben wird Raabe mal von einer swingenden Rhythmusgruppe, getragen vom gedämpften Jubel der Trompeten und ihren näselnden Saxofonfreunden, animiert vom kuscheligen Violinenspiel der einzigen Musikerin des Orchesters, die mit tiefem Ausschnitt, Dauerlächeln und blonden Haaren bereit steht, mit Raabe (und derHilfe digitaler Bildbearbeitung) in den Himmel hineinzutanzen.
Zur Stilvollendung gehört noch ein wenig Bühnenbildpomp (Raabe hat ihn) – und ein Ballett. Das wurde in Polen gecastet, zeigt viel bleiche Haut, Choreografieplüsch und auch mal einen Schleiertanz als Schattenspiel. Akurat, akurat. Und einfach mal zulassen, diesen seligen Taumel in unselig harten Zeiten. Kein besseres Unterhaltungsprogramm ist derzeit auf Bremens Bühnen zu erleben. fis
Bis 30.1., 20 Uhr, im Musicaltheater am Richtweg
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