KREUZKÖLLN: Eigentlich wie immer
Ach ja, Berlin. Es ist noch Frühling, fast Sommer, die Kastanie, die Linde, die Akazie kokett und in voller Blüte. Dem Allergiker kratzt längst der Hals. Er hustet und schnupft. Es ist knallhell am Morgen. Um vier Uhr morgens dämmert es schon. Da hilft kein vors Fenster gespanntes Bettlaken. Und gegen den Lärm auch keine am Sims befestigten Drahtstacheln. Die gurrenden Tauben vollführen einfach fliegend ihre Matinee. So wie die Nachbarn oder die Leute, die hinter der Brandmauer wohnen, im hypothetischen dritten Hinterhof – dem ersten von der Sonnenallee aus gezählt, die drehen die Musik schon vor dem Frühstück auf und steppen übers Parkett zu Hits aus den 80ern, 90ern und Nullern. Das Beste vom Besten.
Sieben Uhr morgens: Meine Freundin klingelt. Sie will nur kurz Kisten abstellen, sagt sie durch die Sprechanlage. Umzugskartons einer Freundin. Manche Leute ziehen weg! Und manche tun dies in Etappen. Zwei Wochen sollen die Kisten bei mir in der Wohnung stehen – Bücher, Klamotten und die gesammelten Mappen aus Bachelor- und Master-Studiengang. Wertsachen sind auch dabei, wie mir Hannah versichert. Pass gut auf sie auf, du weißt ja, bei dir in der Gegend wird geklaut, und noch bevor ich ihr in einen Kuss geben kann, ist sie schon wieder treppabwärts verschwunden.
Ja. Berlin. Alles wird teurer. Verdammt. Vor sechs Jahren wohnte ich in Kreuzkölln, als es Kreuzkölln überhaupt noch nicht gab. Jetzt zieht die Freundin von Hannah dahin. Die Wohnung: 29 Quadratmeter, Hinterhaus, Erdgeschoss, Gemeiner Hausschwamm, kostet dreimal so viel wie meine, damals, mit Südwestbalkon, 4. Stock, ach, was sag ich, Whirlpool!
Ich bin mir plötzlich sicher: Die Stadtmagazine mit ihren Dieses-Viertel-ist-nun-in-Artikeln arbeiteten Hand in Hand mit den Immobilienscouts.
TIMO BERGER
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