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Der sächsische Orgasmus

Klingeltöne sind eine lukrative Plage. Mit eigenen Charts in der „Musikwoche“ kommen sie zu höheren Weihen

Ab April wird sortiert, prämiert und ausgestellt, was jeden Morgen in der U-Bahn nervt. Der „sächsische Orgasmus“ zum Beispiel. Dann nämlich wird der Staatsanzeiger der deutschen Tonträgerindustrie, die wöchentlich erscheinende Musikwoche, zum ersten Mal offizielle Klingelton-Charts veröffentlichen.

Wie so vieles in der Welt des Schalls und des Rauchs wird auch dies aus dem Mutterland des Pop importiert: In Großbritannien werden die Top 20 der Klingeltöne bereits seit Juni letzten Jahres ermittelt. Kein Wunder, werden doch in großen Popmärkten wie England und Deutschland längst mehr Klingeltöne als CD-Singles verkauft, zuletzt verdoppelte sich der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr auf 120 Millionen Euro.

Trotzdem ist es mehr als nur eine offizielle Weihe, die entsprechenden Charts im offiziellen Organ des Deutschen Phonoverbandes zu veröffentlichen; es ist mehr als das Zugeständnis eines Wirtschaftszweigs an ein einst ungeliebtes, aber nun proper geratenes Kind: Es verrät viel über das Selbstverständnis einer Branche, die beschleunigte Datenraten gerne mit Innovation verwechselt. Und es bedeutet die Anerkennung des Mobiltelefons als Ort kulturkritischer Eingriffe und zeichenhafter Abweichungen. Vielleicht wird das schon in Bälde zu Alternative-Ringtone-Charts führen – vielleicht aber auch zu einer akustischen Stadtguerilla, die den Klingelton nicht mehr nur als kulturindustrielles Ärgernis begreift, sondern als klangvollen Verwirrungsstifter.

Die Zeichen sind gesetzt. Jetzt können sie umgedeutet werden.

CLEMENS NIEDENTHAL

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