: Berlin bald an der Ostsee
KONFERENZ Mit der „Lübecker Erklärung“ verstärken die Befürworter der Fehmarnbeltbrücke den Druck auf die Politik. Auf sieben Schlüsselthemen soll die Kooperation im westlichen Ostseeraum intensiviert werden
Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Staatsvertrag über den Bau der Fehmarnbelt-Querung könnte im nächsten Jahr das Planfeststellungsverfahren beginnen. Der Bau soll möglichst 2012 starten und 2018 beendet sein.
■ Die Brücke zwischen den jetzigen Fährhäfen Puttgarden auf der Insel Fehmarn und Rødby auf der Insel Lolland würde rund 19 Kilometer lang werden.
■ Die Verkehrsprognosen von unter 10.000 Kraftfahrzeugen täglich würden in Deutschland nicht einmal den Bau einer Ortsumgehung rechtfertigen. Allerdings will Dänemark die Kosten von mindestens 4,6 Milliarden Euro allein aufbringen und über Mauteinnahmen refinanzieren.
■ Für den Ausbau von Schienen und Straßen in Richtung Kopenhagen kalkuliert Dänemark knapp eine Milliarde Euro, auf deutscher Seite wird mit mindestens 1,2 Milliarden Euro vor allem für Schienenstrecken via Lübeck bis Hamburg veranschlagt.
AUS LÜBECK SVEN-MICHAEL VEIT
Ohne Leuchttürme geht es nicht, wenn die Reise übers Meer führen soll. Etwa zwei Dutzend „lighthouse projects“ für eine intensivere Kooperation im westlichen Ostseeraum wurden am Mittwoch in einer „Lübecker Erklärung“ in der Hansestadt verabschiedet. Bei der internationalen Fehmarnbelt-Konferenz „Building New Bridges“ vereinbarten Hamburg, Schleswig-Holstein, die dänischen Regionen Seeland und Kopenhagen sowie das südschwedische Schonen die Zusammenarbeit in sieben „Schlüsselthemen“.
Das Ziel, mit einer Brücke über den Fehmarnbelt die „Wachstumsachse“ zwischen Hamburg und Kopenhagen / Malmö zu beleben, ist kurzfristig. Der Blick geht aber bereits viel weiter: Die drei Hauptstädte Oslo, Stockholm und Berlin gelten als gedachte Endpunkte des Netzes, in dessen Zentrum Lübeck, die einstige Königin der Hanse an Trave und Ostsee liegt.
Entsprechend „stolz“ über die zweitägige Konferenz zeigte sich Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) bei der Unterzeichnung der Deklaration im historischen Rathaus. „Die feste Querung wird die Trennung in Europa überwinden“, glaubt Schleswig-Holsteins Europaminister Uwe Döring (SPD) ebenso wie der dänische Verkehrsminister Lars Barfoed (Volkspartei).
Gedanklich wird das größte Infrastrukturprojekt der EU fast schon zur Nebensache für die mehr als 300 Vertretern aus Politik, Wirtschaft und mehreren Dutzend Lobbyorganisationen aus Dänemark, Schweden, Norwegen und Norddeutschland. Sie arbeiten bereits intensiv am Überbau. „Der Bau der physischen Brücke beginnt 2012“, glaubt Bernd Rohwer, Chef der Lübecker Handelskammer und früherer SPD-Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, „aber der Bau der mentalen Brücke beginnt heute“.
Und so geht es in der Lübecker Vereinbarung um die Verwirklichung eines „weltweit führenden Wissenskorridors von Oslo bis Hamburg“, um die „kulturelle Brücke“ zwischen Norddeutschland und Skandinavien, um Informationsaustausch, Tourismusmarketing, Meeres- und Klimaschutz oder auch einen künftigen gemeinsamen Arbeitsmarkt. Schon am heutigen Donnerstag zum Beispiel lädt das in Ostholsteins Kreisstadt Eutin frisch gründete Fehmarnbelt-Büro zu einer ersten „Informationsveranstaltung für Grenzpendler“. In Oldenburg / Holstein geben Fachleute Tipps zur Steuererklärung für Menschen, die in Schleswig-Holstein wohnen und in Dänemark arbeiten.
Leichte Skepsis schimmert lediglich bei Döring durch, der den Brückenschlag über die Ostsee „für eine Chance, aber nicht für einen Selbstgänger“ hält. Anders als die dänisch-schwedische Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö sei eine Querung des Fehmarnbelts „eine Brücke zwischen zwei Rapsfeldern“, greift er Kritik von Naturschützern und Verkehrswissenschaftlern auf. Das müsse man ernst nehmen, sagt Döring, „allerdings werden es ohne die Brücke Rapsfelder bleiben“, mit der festen Querung aber würde „eine Lücke geschlossen und eine Achse geschmiedet“.
Voraussetzung ist jedoch, dass die deutsche Politik „überfällige Entscheidungen trifft“, sagt Uli Wachholtz. Die in der vorigen Woche vom Bundestag verschobene Beratung des deutsch-dänischen Staatsvertrages zum Bau der Fehmarnbelt-Brücke müsse „umgehend und positiv erfolgen“, fordert der Vorsitzende des Fehmarnbelt Business Council (FBBC). Dieser Verbund aller Handelskammern und Wirtschaftsverbände zwischen Nordniedersachsen und Südschweden „steht geschlossen für die Querung“, versichert Wachholtz: „Wir brauchen die schnelle Verbindung auf Straßen und Schienen ohne Nadelöhre.“
Und damit das auch in der deutschen Hauptstadt klar wird, kündigt Döring für den Herbst eine PR-Veranstaltung an der Spree an. Der Titel: Berlin liegt an der Ostsee.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen