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Gibt‘s was zu feiern?

HipHop war Teil des großen schwarzen Erwachens in den Achtzigern. Doch die Bewegung mutierte zur Goldmine. Und was machen wir heute, am 30. Geburtstag? Wie es aussieht, nichts weiter als noch mehr gottverdammte CDs und T-Shirts

VON GREG TATE

In den USA nähern wir uns dem Ende der Feierlichkeiten zum dreißigsten Geburtstag von HipHop als populärer Kunstform. Dank MTV und dergleichen liefen im Fernsehen fast täglich Rückblicke und Features. Doch jetzt, wo die Bänder weggepackt werden, fragen sich einige von uns: Was zum Teufel feiern wir eigentlich? Gute Frage. Meine beste Antwort wäre: Mann, nichts weniger als die Hochzeit von Himmel und Hölle, vom Erfindergeist des Neue-Welt-Afrikaners und jenem gerissenen Teufel, der auch als globaler Hyperkapitalismus bekannt ist. Hurra.

Da es heute unmöglich ist, das, was wir HipHop nennen, von dem zu trennen, was wir HipHop-Industrie nennen, gibt es eigentlich nur für die Moneyshakers und Moneymakers Grund zum Jubel. Dem ist schwer zu widersprechen, denn – zur Hölle auch! – global betrachtet ist HipHop Geld. Eine wertvolle Währung, die ein paar Brüdern Anteilscheine verspricht, wenn sie ein paar Unternehmen an ihrem Feuer wärmen.

Echte HipHop-Headz allerdings werden schnell sauer, wenn man die so genannte HipHop-Kultur nicht von der HipHop-Industrie trennt. Aber das würde beim jetzigen Stand der Dinge heißen, die Straßenbasketballer von der National Basketball League zu trennen. HipHop mag als Folkkultur begonnen haben, die sich durch ihre Abkehr von der Mehrheitsgesellschaft definierte. Aber wir sollten nicht vergessen, dass diese Kultur in dem gleichen Amerika entstand, das uns die Coon-Shows gab [populäre Shows aus dem frühen 20. Jahrhundert, in denen schwarz geschminkte Weiße sich über Schwarze lustig machten; Anm. d. Ü.]. Die HipHop-Kultur war von der Stunde an verdammt, als sie ebenjene Mehrheitsgesellschaft zu unterhalten begann, die ihre Erfinder ausgeschlossen hatte.

Bevor HipHop seinen Namen bekam, war es ohne Frage eine Folkkultur. Man muss sich nur die Leute in Jamel Shabazz’ Fotoband „Back In The Days“ im Brooklyn und in der South Bronx der Achtziger anschauen.

Aber von dem Augenblick, als „Rappers’s Delight“ (1979) mit Platin ausgezeichnet wurde, verwandelte sich HipHop in die Unterabteilung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Ohne Zweifel hat die Musik die Unterhaltungsindustrie verändert und in der Folge alle möglichen Begriffe von Entertainment, Stil und Politik. Mal ehrlich: Wenn HipHop bloß irgendeine in Bernstein eingeschlossene, strenge Folktradition wäre, hätte er niemals ein Ort radikaler Veränderung sein können und hätte sich auch nicht zur unternehmerischen Ausbeutung geeignet. Dies ist Amerika, und die alte Basketballtrainer-Weisheit heißt: „They don’t pay niggas to sit on the bench.“

HipHop war nie bereit, nicht auf die Jagd nach dem Gold zu gehen, schon gar nicht, als es immer mehr Gold für die Güter gab, die HipHop auf den Markt brachte. Das Problem ist, dass dies ehemals ein Markt war, in dem die Käufer entschieden, was glaubwürdig war. Nun ist es ein Markt, in dem nicht mehr wir, das elitäre HipHop-Publikum, entscheiden, was auf der Straße läuft, sondern die Vorstandsetage bestimmt, was angeboten wird.

Der Trick dabei ist, dass HipHop, zusammen mit Basketball, das Gesicht des schwarzen Amerika in der Welt ist. Und egal wie produktförmig die Musik geworden ist: Auf dem weltweiten Marktplatz steht er nach wie vor für schwarze Kultur, für schwarze künstlerische Freiheit und schwarzen Erfindergeist. Ohne Zweifel bietet HipHop schwarzen Künstlern mehr künstlerische Autonomie als jedes andere elektronische Medium. Was auch immer man von den einzelnen Produkten halten mag: der Umstand, dass er weltweit so viele Schwarze verbindet, macht HipHop nach wie vor unschätzbar für jemand, dem panafrikanische Ideen am Herzen liegen. Die Allgegenwart des HipHop hat eine gemeinsame Basis und eine gemeinsame Sprache für alle Schwarzen von achtzehn bis fünfzig geschaffen. Deshalb lässt er sich auch nicht einfach als kapitalistisches Werkzeug abtun: Der Dialog zwischen Long Beach und Kapstadt, den HipHop in Gang gesetzt hat, ist von zentraler Bedeutung – ob Long Beach das nun mitbekommt oder nicht. Aber was machen wir mit all der Kommunikation, der transatlantischen telepathischen schwarzen Massenverbindung? So wie es aussieht, nichts als noch mehr gottverdammte CDs und T-Shirts, die wir über den Ozean schicken.

Diese Negro-Kunstform würde allerdings überhaupt nicht existieren, wenn die African Americans, egal aus welcher sozioökonomischen Kaste, nicht immer noch „Nigger“ wären und nicht die etwas edleren „Niggas“. Anders gesagt, wenn die Leute, die dieses Irrenhaus betreiben, uns eben nicht gleichzeitig als Unter- und Übermenschen sehen würden, als sexy Bestien aus der King-Kong-Abteilung. Nur Afrikaner konnten die Sklaverei überleben, als faule Penner gebrandmarkt werden und dann jede wichtige Sportveranstaltung in eine Entscheidungsschlacht verwandeln, weil sie sich zur Überkompensation entschieden haben.

So wie King Kong seine Insel hatte, hatten wir die Bronx der Siebziger, wo die einzig bedeutende Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts entstand, die von eingefleischten New Yorkern ins Leben gerufen wurde und nicht von Zugezogenen aus New Jersey oder Durchreisenden aus dem Südwesten. HipHop ist das Ellis Island des schwarzen Amerika. Es bot den Ärmsten unter uns einen Zugriff auf das Land der Reichen.

Doch die Verbindung der Exsklaven mit dem Kassenklingeln wurde erst durch die Achtziger möglich. Vorher waren den African Americans die Aufstiegsmöglichkeiten anderer Einwanderer im Bildungssystem oder in der Wirtschaft versperrt – übrigens ungefähr vierhundert Jahre, nachdem die ersten hergekommen waren, falls das jemand vergessen haben sollte. Die HipHopper waren nicht die erste Generation, die unternehmerisch ihr Ding machen wollte, aber sie waren die ersten, die auch die Rechtsmittel hatten, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Und sie waren die erste Generation, für die der Erwerb dieses Rechts, ihr gottverdammtes Ding zu machen, keine Sache war, die den Besten und Schlauesten vorbehalten gewesen wäre.

Angenommen, wir wachen morgen auf, und in Radio und TV gäbe es keinen HipHop mehr. Das ganze Geld wäre aus dem HipHop verschwunden: Ich könnte wetten, dass vom HipHop, wie wir ihn kennen, nichts als Nostalgie bliebe. Mit etwas Glück würde HipHop als Protestmusik wieder auferstehen und wäre in der Lage, eine Ernüchterung über jene Aufteilung in Arm und Reich zu reflektieren, die wir hier im Land der Statussüchtigen mit der Muttermilch einsaugen, anstatt sie noch zu verstärken. Aber darauf würde ich nicht warten.

Denn der Tag, an dem HipHop vom Markt verschwände, würde auch klären, ob HipHop wirklich eine kulturelle Kraft oder eben nur eine Fertigungshalle war. Eine Seinsform oder eine Methode, Porno-DVDs, Crunk Juice und Jay-Zs S. Carter Sneakers zu verkaufen. Es wäre auch der Augenblick, in dem die armen schwarzen Communities sich der Realität ihrer Umgebung und ihrer mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten stellen müssten. Eine interessante Frage würde auftauchen: Wenn genug Leute aus dem Block reich werden, reicht das auch für die, die untergehen? Und wohin bringt der HipHop-Wohlstand die Diskussion um Minderheitenpolitik und schwarze Identität?

George Clinton nahm den Faden bei Amiri Baraka und dem Black Arts Movement wieder auf und begriff, dass alles, was Schwarze tun, zum Vorteil des Kapitals abstrahiert und neu verpackt werden kann. Dies hat in letzter Zeit zu einer Flut von mediokren Comedy-Sendungen geführt, in denen Schwarze bei Friseurwettbewerben herumspringen. Und es hat uns Biz Markie und Outkast gebracht.

Ach, die Verkaufskraft des schwarzen Slangs der Straße! Ralph Ellison glaubte, wir könnten ihn so einsetzen, dass er uns Zugang zu den heiligen Hallen der Kunst verschafft. Wie hätte er ahnen sollen, dass die verführerische Kraft dieser Sprache Estée Lauder dazu bringen würde, eine Fusion mit dem Hause P. Diddy vorzuschlagen? Oder Hewlett-Packard an die Tür des Plattenfirmenchefs Steve Stout schicken würde, auf der Suche nach einem HipHop-geprägten Coolness-Verkäufer? HipHops neuer und übersprudelnder Platz in der globalen Wirtschaft ist ein weiterer Beweis für den alten marxistischen Glaubenssatz, dass unter den abstrakten Kräften des Kapitalismus „alles Ständische und Stehende verdampft“.

So geistert HipHop als ein weiteres konsumierbares Gespenst über den virtuellen Marktplatz, während er sich parasitär vom Blut derer nährt, die er bis zu seinem Todestag zu „repräsentieren“ behauptet. Warum also sollten jene, die von HipHop qua ihres geopolitisch verortbaren Lebens ohnehin nichts anderes wollen als Eskapismus, Glamour und Voyeurismus, fordern, diese Musik solle wegen der Aidskrise in den schwarzen Communities die Alarmglocke läuten? Wieso sollten sie fordern, dass HipHop den gefängnisindustriellen Komplex angreifen müsse, statt die Haft zu romantisieren? Sich mit Themen wie Intimität und Analphabetentum beschäftigen oder – der Himmel möge es verhindern – mit einem Schuldenerlass für Afrika und den Bosheiten, die sich Weltbank und IWF für die Heimat der Vorfahren ausdenken?

Was nicht heißen soll, dass P. Diddys „Vote Or Die“-Kampagne nicht ein wunderbarer Versuch war, zumindest das Phantasma schwarzer Politik zurück in jenen kulturellen Rahmen zu holen, der zurzeit von Hintern, Juwelen und Joints beherrscht wird. Das soll auch keinesfalls den Versuch von Russell Simmons entwerten, Widerstand gegen die von Rockefeller aufgestellten Drogengesetze zu organisieren. In seinem Herzen ist HipHop nach wie vor eine radikale, revolutionäre Unternehmung: aus dem einfachen Grund, weil er Menschen afrikanischer Herkunft der Unsichtbarkeit und dem Vergessen der großen konsensuellen Simulationsblase und dem Zwielicht der digitalen Massenablenkung entreißt, die wir in der christlich-konservativen, goebbelisierten Fox-News-Matrix unser Leben nennen.

Solange HipHop tatsächlich der einzige Ort ist, wo man eine größere Anzahl Schwarzer sehen kann, die etwas anderes sind als Sitcom-Fensterschmuck, hat diese Kunstform nach wie vor das Potenzial, einen Weg nach draußen zu eröffnen. Es liegt in den Händen des nächsten Dichtergenies, das in der Lage ist, dem Leiden seiner Leute mit der richtigen Prise Rhythmus und Krach Ausdruck zu verleihen, sowohl den Bürgerlichen zu erreichen als auch den Boulevard zu rocken. Das sollte man nicht unterschätzen nach einem Jahr, in dem Hautfarbe und Herkunft zum ersten Mal in unserem Leben keine Rolle in einem Präsidentschaftswahlkampf spielten.

Nennt mich einen panafrikanischen Kulturnationalisten, einen „Afrika den Afrikanern hier und überall“-Rock-’n’-Roll-Niga: Aber ich kann mich noch an den afrozentrischen Traum erinnern, HipHop zu einer Waffe im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit zu machen, anstatt den Kontostand von Exdrogendealern zu erhöhen. Wider besseres Wissen zähle ich mich immer noch zu diesen Gläubigen. HipHop war Teil des großen schwarzen kulturnationalistischen Erwachens in den Achtzigern und frühen Neunzigern, weil es einen Anti-Apartheid-Kampf gab und einen Anti-Crack-Kampf und weil Louis Farrakhan und Jesse Jackson auf der Höhe ihres rhetorischen Könnens und ihres organisatorischen Ehrgeizes waren und Zugang zu den Medien hatten. Eine Generation von schwarzen Ivy-League-Intellektuellen hatte auf beiden Seiten des Atlantiks angefangen, den philosophischen Einsatz in der Debatte der African Americans zu erhöhen. Und zumindest in New York organisierten sich Proteste gegen die polizeiliche Allmacht, die zum Abschlachten von Menschen wie Eleanor Bumpurs, Amadou Diallo oder Patrick Dorismond geführt hatte. Der Punkt ist, dass HipHop mitnichten aus einem Vakuum heraus entstand, sondern Teil eines politischen Dynamos war. Wobei sich dieser spätestens zum Zeitpunkt des Million Man March 1995 aufgelöst hatte, jener Veranstaltung, die ein Freund von mir einmal als die historisch größte Demonstration von Leuten gegen sich selbst beschrieben hat, mit ihrer bizarren Idee, man müsse vor dem gottverdammten Weißen Haus Buße tun.

In diesem Moment wurde das ganze Dilemma einer Politik deutlich, die einzig an bürgerrechtliche Reformen denkt und dafür an das Schuldgefühl der Weißen und das Bewusstsein der Schwarzen appelliert. Was durch den Umstand nur unterstrichen wird, dass die zwei umstrittensten Ereignisse schwarzer Politik in den Neunzigern eben dieser Million Man March und der schale Sieg im O.-J.-Simpson-Prozess waren. Ich meine, okay, es eröffneten sich ja wirklich ganz neue Perspektiven, weil wir massenhaft in Washington aufliefen, ohne irgendeine Forderung zu haben, und vor dem Weißen Haus für unsere Sünden Abbitte leisteten – und weil wir Freudentänze aufführten, als sich ein bekloppter Ex-Athlet von der Giftspritze freikaufen konnte. Anders gesagt: HipHop taugt nichts, weil die moderne populistische schwarze Politik nichts taugt.

Das Problem fortschrittlicher schwarzer Politik ist nicht HipHop. Das Problem ist, dass das Thema Nummer eins Armut sein müsste und niemand weiß, wie man Armut sexy machen kann. Wirkliche Armut, nicht Studio-Gangsta-Armut, keine „Frisch unter Vertrag genommener Rapper, der seine Geschichte verkauft“-Armut.

Man könnte argumentieren, dass die Zeiten einer schwarzen Agenda vorbei sind. Aber nur, wenn man glaubhaft erklären könnte, dass es keine armen Schwarzen mehr gibt und wir jede Form von institutionalisierter, struktureller Armut hinter uns gelassen haben. Diejenigen, die behaupten, wir brauchten keine Führung, sagen im Grunde nur, dass auch sie sich von George W. Bush führen lassen. Sie sagen eigentlich: Wofür brauchen wir politische Führung, wenn wir Kabelfernsehen und Playstations haben? Und es kann schon sein, dass sie irgendwie auch Recht haben, denn welches Volk kann einen Anführer wollen, wenn es noch nicht mal einen Nationalstaat hat? Und vielleicht ist die einzige schwarze Kultur, die in einem virtuellen Amerika wie dem unsrigen zählt, tatsächlich eine, die man runterladen kann. Vielleicht braucht es für die wirklich bloß Geschäftsleute.

Natürlich ist es einfacher, Seifenblasen in die Luft zu pusten, in denen sich Reichtum spiegelt, als strukturellen Rassismus und Armut anzuprangern; würde HipHop-Amerika mehr wollen als das – nämlich wirkliche Macht –, müsste es sich von der idiotischen Flimmerkiste befreien.

Ein Weltuntergangsszenario: Erzählen wir in zwanzig Jahren unseren Enkeln vielleicht, wie wir Zeugen eines kulturellen Genozids wurden, der systematischen Zerstörung einer Kultur. Wir werden ihnen erklären, wie ein paar Verrückte dachten, sie würden den dreißigsten Geburtstag von HipHop feiern, obwohl es eigentlich das Jahr war, in dem George W. Bush mit Tusch wiedergewählt wurde, und dass sie in Wirklichkeit einem Begräbnis beiwohnten. Wir werden ihnen erzählen, dass es da vor langer, langer Zeit einmal eine wunderschöne Kunstform gab, die es dem Negro ermöglichte, in aller Öffentlichkeit zu sagen, was ihm oder ihr durch den Kopf ging. Und wir werden ihnen erzählen, wie ebenjener Negro-Künstler auf Mindestlohn, den Irakkrieg und die Freiheit der Eingekerkerten sah und sich dann dafür entschied, seine emanzipierte Klappe einer Stripperin in den Arsch zu stecken, weil sich herausstellte, dass sich hinter diesen Hügeln wirklich Gold verbarg.

GREG TATE war Mitbegründer der Black Rock Coalition in New York und ist Redakteur der „Village Voice“, wo der Artikel zuerst erschien. Aus dem Amerikanischen von Tobias Rapp

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