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Nachhaltiges Schweigen

Schuld sind Sparzwänge und mangelnde Hartnäckigkeit: Die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ hat ermittelt, welche Themen es im vergangenen Jahr nicht in die deutschen Medien geschafft haben

AUS DORTMUND MIRIAM BUNJES

Im Oktober 2002 wurde Frau K.s schlimmster Albtraum Wirklichkeit: Nach zwölfjähriger Duldung in Deutschland wurde die Kurdin mit ihren fünf Kindern in die Türkei abgeschoben. Sie hatte schon vorher gewusst, was sie als geschiedene Frau in ihrem Heimatdorf erwartet: bittere Armut, gesellschaftliche Verachtung und eine Zwangsheirat ihrer ältesten Tochter mit einem Cousin, den sie nicht liebt. Über Frau K.s neues Leben in einem kleinen kurdischen Dorf in der Nähe der irakischen Grenze weiß auch die deutsche Öffentlichkeit Bescheid. Eine Journalistin besuchte die Familie, berichtete über die fast täglichen Vergewaltigungen der zwangsverheirateten 16-jährigen Tochter und über die Drohungen und Anfeindungen im Alltag der Mutter.

Solche Berichte sind selten. „Während laufender Abschiebeverfahren wird durchaus darüber berichtet, dass Menschen in ihren Heimatländern gesellschaftlicher Verfolgung ausgesetzt sein könnten“, sagt Horst Pöttker, Geschäftsführer der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) an der Universität Dortmund. „Was wirklich nach einer Abschiebung mit den Menschen passiert, erfährt man dagegen fast nie.“ Deshalb ist für die Initiative Nachrichtenaufklärung das Thema „Aus Deutschland abgeschoben – und dann?“ diesmal Top 1 der vernachlässigten Themen aus dem Jahr 2004. „Es ist ein strukturelles Problem, dass solche Themen in den deutschen Medien keine Verbreitung finden“, so Pöttker. „In Ländern wie der Türkei gibt es eben in der Regel keine dauerhaften Korrespondenten – das verhindern die Sparzwänge der Medien.“

Und weil das Thema nicht ohne große Kosten recherchiert werden kann, wird kaum darüber berichtet. „Es gibt heute einen generellen Mangel an nachhaltigem Journalismus“, sagt Journalistikprofessor Pöttker. „Eigentlich wäre es gar nicht schwierig, konkrete Fälle für unser Topthema aufzuspüren. Den meisten Journalisten fehlt es jedoch an Hartnäckigkeit und Engagement.“ Vorgeschlagen wurde der INA das Top-1-Thema von einer Bekannten von Frau K. Erschreckt vom Schicksal der Familie, fiel ihr das öffentliche Schweigen auf. „Viele unserer Themen werden von persönlich Betroffenen angestoßen“, sagt Horst Pöttker, der das Projekt seit drei Jahren koordiniert. 120 eingereichte Themen recherchierten die Journalisten, Wissenschaftler und Journalistikstudierende für 2004, um jetzt die Topten der verschwiegenen Nachrichten präsentieren zu können. Im höchsten Maße unzureichend ist auch die Berichterstattung über Datenschutzthemen, entschied am Freitag die elfköpfige INA-Jury, in der unter anderem Journalisten wie die Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule Ingrid Kolb und WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn sitzen. Auf Platz 2 landete deshalb die „Mängel des virtuellen Arbeitsmarktes“, der Arbeitslosen keinen vollständigen Zugriff auf die Stellenangebote der Bundesagentur für Arbeit ermöglichte, auf Platz 3 der „Ärger mit Kundendatenbanken“.

Trotz aller Bemühungen schafft es jedoch auch die INA nicht, alle vernachlässigten Themen aufzuspüren. „Was uns generell fehlt, sind Berichte über militärische Entwicklungen oder Sachen, die mit Geheimdiensten zusammenhängen“, sagt Jury-Mitglied Peter Ludes, Kommunikationswissenschaftler an der International University Bremen. „Es ist einfach unheimlich schwierig, da heranzukommen.“

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