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Weltsozialforum schafft sich ab

Die Massenveranstaltung der Globalisierungsgegner will sich künftig „dezentral“ treffen. In Porto Alegre wurde zum letzten Mal gefeiert und politisiert

AUS PORTO ALEGRE BERND PICKERT

Das Weltsozialforum 2005 ist zu Ende. Die vielen Zelte, in denen die Teilnehmer sechs Tagen vor sich hin schwitzten, werden abgebaut. Die hunderte fliegenden Händler, bei denen sich die 155.000 TeilnehmerInnen rund um die Uhr mit kühlem Wasser, Bier, Hotdogs und Che-Guevara-T-Shirts eindeckten, werden das Forum vermissen, genau wie die Menschen, die anschließend Berge von Plastikmüll und leeren Dosen aufsammelten und für ein paar Reales bei den Sammelstellen abgaben. Ade, Weltsozialforum, so wird es nie wieder.

Denn in Porto Alegre, der Stadt im Süden Brasiliens, wird es das Forum nicht mehr geben. Schon kurz vor Beginn der Veranstaltungen hatte das Internationale Komitee entschieden, im kommenden Jahr statt einer zentralen Veranstaltung dezentrale Foren auf den verschiedenen Kontinenten abzuhalten. Wo das sein wird, ist bislang nur für Lateinamerika klar: Venezuela wird das Forum ausrichten. 2007 soll dann ein Weltsozialforum in Afrika stattfinden. Wo, ist noch unklar.

Ein lateinamerikanisches Forum war schon dieses – wenngleich es sich nicht so nannte. Die meisten Veranstaltungen fanden auf Portugiesisch statt, und die Übersetzung klappte nur in Ausnahmefällen. Wer die Sprache nicht konnte, lief und lief auf der Suche nach englischsprachigen Veranstaltungen über das weite „Weltsozialterritorium“, stöhnte unter der Hitze, traf auf überfüllte Zelte, um sich dann irgendwann ermattet unter Bäumen niederzulassen und darauf zu warten, dass es Abend wird.

Immerhin, auch wer einfach nur irgendwo herumsaß, konnte noch genug davon mitbekommen, wer in Porto Alegre wie agierte – jedenfalls die lautesten. Da wird in einem Zelt fäusteschwingend die Internationale geschmettert, während auf der zentralen Straße, die die Veranstaltungsorte verbindet, gerade wieder eine Demonstration beginnt, diesmal unter dem Gesang „Oleeee olé-olé-olaaaa - Pa-läää-sti-naaaa“. Mit dabei eine der Splittergruppen, die schon vor dem Sozialforum die halbe Stadt mit der Parole „Es lebe der heroische Widerstand des irakischen Volkes!“ zugepinselt haben und an verschiedenen Ständen T-Shirts verkaufen, auf denen ein Vermummter zu sehen ist, der eine Panzerfaust in die Höhe reckt und seinen Fuß in Siegerpose auf einen erschossenen US-Soldaten stellt. Minderheiten, aber laut und ohne Widerspruch. Hier darf jeder machen, was er will – „Horizontalität“ heißt das, und es ist das Konzept des Forums. In dem Gewusel der 2.500 Veranstaltungen gerät jede Position zum kleinen Splitter, deren Konsensfähigkeit nur zu erahnen ist. Vietnamesen fordern Schadenersatz wegen des US-amerikanischen Agent-Orange-Einsatzes, afrikanische Gruppen fordern Reparationszahlungen für die Sklaverei, indische Aktivisten mobilisieren gegen Coca-Cola. Einziger Konsens: Kampf dem US-Imperialismus, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds.

Der Vorstoß der 19 Prominenten, einfach selbst einen Konsens vorzuschlagen (s. Kasten), will diese Lücke füllen – aber er bleibt natürlich nicht unumstritten. Nur ein Vorschlag unter hunderten sei das, befindet das brasilianische Mitglied im Internationalen Komitee, Chico Whitacker. Andere meinen, hier wollten sich die Berühmtheiten ihren Platz wiedererobern, den ihnen die neue Forumsstruktur – keine zentralen Veranstaltungen – in diesem Jahr genommen hat. So muss der „Konsens von Porto Alegre“ der Konsens der Unterzeichner bleiben – neben der Erklärung der „Versammlung der sozialen Bewegungen der Welt“ ist er das einzige Papier, das auf klare Außenwirkung zielt. Als Gegengewicht zu Davos funktioniert das Forum nicht mehr, als Treffen der Bewegung und der NGOs umso besser.

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