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Interpretierbarer Arbeitsschutz?

„Heiße Stimmung“: Der Deutsche Gewerkschaftsbund befürchtet auf der elften Arbeitsschutzkonferenz in Bremen eine Beschneidung der ArbeitnehmerInnen-Rechte

Bremen taz ■ Seit August letzten Jahres gilt im deutschen Arbeitsschutz eine neue, auf EU-Richtlinien basierende Arbeitsstättenverordnung. Während das alte Regelwerk 60 Paragraphen umfasste, ist das neue gerade mal acht Paragraphen lang. Im Ergebnis sind die Formulierungen schwammig und allgemein gehalten.

Anstatt genauer Regelungen findet der Arbeitgeber hier lediglich Worthülsen wie „angemessenen“, „ausreichend“ oder „erforderlich“, die alles Mögliche bedeuten könnten, zum Beispiel auch, dass ab jetzt weniger Quadratmeter pro Arbeitsplatz oder ein geringerer Abstand zum Hochofen zumutbar sind.

Auf der elften Arbeitsschutzkonferenz im DGB-Haus machte die Bremer Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Helga Ziegert ihren Befürchtungen zu den Schutzzielen Luft: „Wir haben die Sorge, dass jetzt die Arbeitgeber die Inhalte vorgeben.“

Die Zahl von über 90 KonferenzteilnehmerInnen aus Personal- und Betriebsräten, der Arbeitsmedizin, den Berufsgenossenschaften und der Gewerbeaufsicht zeigt, dass die Verunsicherung in diesem Bereich tatsächlich sehr tief sitzt. „Auf der Konferenz war eine richtig heiße Stimmung spürbar. Gerade für Betriebsräte in kleineren Betrieben ist es schwierig, mit solchen ungenauen Bestimmungen die Rechte der Angestellten gegenüber dem Arbeitgeber durch zusetzen“, berichtete Ziegert auf der anschließenden Pressekonferenz.

Ulrich Becker vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zeigte Verständnis, wies aber darauf hin, dass diese Ängste zu einem guten Teil unbegründet sein. „Regeln, die in der Praxis einer Konkretisierung bedürfen, werden in einer Sachverständigenkomission erarbeitet und in einem untergesetzlichen Regelwerk mit juristischer Vermutungswirkung festgehalten.“ Ein Arbeitgeber, der sich an diese Vorschriften halten würde, hätte nichts von den Behörden zu befürchten, so Ullrich.

Bis zur Fertigstellung dieses Regelwerks wird es jedoch noch eine gute Weile dauern. Schließlich soll es von einer Komission aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern erarbeitet werden, was langwierige Diskussionen und Dispute erwarten lässt. „Insofern ist es ganz wichtig, immer wieder darüber zu informieren, dass in den Bereichen, wo noch keine neuen Regelungen existieren, die Alten gelten“, erklärte Ziegert. HH

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