: Müder Matratzenschick
Hintern raus, Arme nach oben, und schon ist die große Geste zertrümmert: Das überbegabte Kind Adam Green gab im Postbahnhof den passionierten Gelangweilten und machte damit alle glücklich
VON SUSANNE MESSMER
Es ist beinahe, als würde man einen alten Bekannten wiedertreffen. Diese dackeligen Glupschaugen, diese hängende Unterlippe: Hundertfach sind sie einem in den letzten Wochen von den Musikzeitschriften aufgetischt worden, von den Feuilletons und den Fernsehshows. Adam Green, vor nur drei Jahren noch die exklusivste Empfehlung für eine kleine Elite Eingeweihter, ist ein Phänomen geworden, mit dem alle glücklich sind: An zwei aufeinander folgenden Abenden ist die neue, große Fritzhalle im Postbahnhof ausverkauft. Vor allem aber sind nicht mehr nur die üblichen Zwanzigjährigen mit den zerknautschten Frisuren da, sondern auch vierzigjährige Damen im Kaschmirpullover, die vorgeben, ihre minderjährigen Söhne zu begleiten, sogar sechzigjährige Herren mit schütterem Haar, runder Brille und Herrentäschchen – eben Leute, die sonst allgemein weniger Lust verspüren, den verschlossenen Kosmos des Indie-Rock zu erkunden.
Mehr noch als in seiner Heimat, in New York oder auch in England, wird Adam Green in Deutschland als größter Singer-Songwriter, als legitimer Thronfolger eines Bob Dylan, eines Serge Gainsbourg oder eines Buddy Holly gefeiert. Dies mag zum einen daran liegen, dass man ihn hierzulande schlechter versteht. Wird man in Amerika bis zum jüngsten Tag darauf warten müssen, dass Lieder mit Texten wie den Seinen im Radio gespielt werden dürfen, können hierzulande im Konzert trotzdem alle ungefähr mitsingen, wenn es wieder mal um Sex mit Behinderten, erhöhten Drogenkonsum oder andere Obszönitäten geht. Zum anderen ist Adam Green deshalb in Deutschland so beliebt, weil er nicht aufhört, von seiner Großmutter zu berichten, die mal was mit Franz Kafka hatte, von seiner Vorliebe für Brecht und anderen Schräglagen, die besonders auf dem neuen Album mit seinen allzu kunstvollen Tempuswechseln und raffinierten Arrangements manchmal gefährlich nah an manierierter Kleinkunst vorbeischlittert. Adam Greens müder Matratzenschick, der lässige Glamour von Manhattan, den er ebenso verkörpert wie den Charme des jüdischen Bürgerkindes, das seine Gelassenheit mit der Muttermilch aufgesaugt hat, glänzt hierzulande noch exklusiver als anderswo. Der wichtigste Grund für seine Beliebtheit hier aber ist: Adam Green verkörpert den Gelangweilten. Und diese Figur ist einem hierzulande schon seit zweihundert Jahren vertraut – und sympathischer denn je.
Da ist zum Beispiel ein besonders beschwingtes Lied wie „Carolina“ vom neuen Album. Adam Green streckt den Hintern heraus und eiert im Entengang am Bühnenrand entlang. Ein anderes Lied, sagen wir „Jessica Simpson“ vom letzten Album, glänzt durch besonders dramatische Höhepunkte. Adam Green reißt die Arme nach oben, lässt sie, dort angelangt, ein wenig spastisch kreisen. Plötzlich kommt Drive auf, Adam Green schlägt ungelenk die Knie aneinander. Es wirkt unbeholfen, es mag intuitiv passieren, möglicherweise aber hat Green auch jeder seiner pathetischen Posen, die er dann zerbricht, versacken und auflaufen lässt, jahrelang vorm Spiegel einstudiert. Jedenfalls wirken sie so professionell albern und peinlich, dass man mitunter an literarische Figuren wie Peter Schlemihl denkt oder Anselmus aus dem „Goldenen Topf“. Jedenfalls wirkt seine leidenschaftliche Leidenschaftslosigkeit wie eine Strategie, die schon die romantische Auffassung des Künstlers nahe legt und ihn von der bürgerlichen Welt bewahrt, vom durch Arbeit und Zeitökonomie strukturierten Leben.
Langeweile adelt: Das ist das Thema, das sich durch alles zieht, was Adam Green ist und macht. Schon als Teenager gab er sich mit seiner Band Moldy Peaches als das ewig unterforderte, überbegabte Kind, als Anführer einer ganzen Bewegung, aber natürlich nur wider Willen. Selbst mit seinen inzwischen 23 Jahren, nach seinem dritten Soloalbum und seinem ersten Gedichtband in der altehrwürdigen edition suhrkamp schafft er es noch immer nicht, einen Song auszuspielen, auszukosten, zu Ende zu denken – eine Skizze muss reichen, auch wenn sie selten länger als drei Minuten dauert. Dazu passt sogar die Legende vom Diktiergerät, das er benutzt, seit er wegen einer Handverletzung nur noch schlecht Gitarre spielen kann – von dem, der seine Lieder im Kopf hört. Und dazu passen auch seine obszönen Texte.
Es gibt Kritiker, die halten Greens himbeersüße Melodien und seinen cremig schmelzenden Bariton, auf die er dann die berühmten Texte vom Mädchen ohne Beine oder vom anderen Mädchen, das ihren Freund mit dem Küchenmesser aufschlitzt, stellt, seinen pubertären Hang zu Abseitigem und Psychedelischem, zu politischen wie sexistischen Unkorrektheiten, zu Dada und zu Gaga – es gibt Kritiker, die das alles für puren Zynismus halten. Viel ist dann von der Verantwortungslosigkeit der Jugend oder vom good old Werteverfall die Rede. Vielleicht aber haben Adam Greens Texte auch nur mit der Langeweile zu tun, die einen nun mal befällt, wenn man den hundertsten Horrorfilm sieht, in dem einem Mädchen der Kopf abgesägt wird.
Am Ende seines wunderbaren Berliner Konzerts singt Adam Green dann noch etwas von den Beach Boys und etwas von Nico. Es ist, als würde sich das Gebot der krampfhaft guten Laune bei den Beach Boys verkehren, als holte Adam Green den faulen Schlendrian hervor, gegen den sie immer anmusizierten. Und Nico? Nico wirkte in Manhattan vor dreißig Jahren wohl genauso exotisch somnambul wie Adam Green hier und jetzt.
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