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Auf die Reeperbahn nachts um halb eins

Hamburgs Fremdenverkehrsbilanz ist eine einzige Rekordorgie, die wachsende Stadt des Ole von Beust ein Tourismus-Magnet mit internationaler Ausstrahlung. Und der Senat will noch viel mehr begeisterte Botschafter in alle Welt zurückschicken

Von Sven-Michael Veit

In Hamburgs Betten ist was los. Neue Rekorde Nacht für Nacht, München und Kopenhagen hecheln hinterher, Berlin, Prag, Wien und selbst Florenz spüren schon Hamburgs heißen Atem: Der Tourismus-Motor an Elbe und Alster läuft auf vollen Touren. „Hamburg, die wachsende Stadt, ist ein Touristen-Magnet“, sagt der Bürgermeister.

Ein neues Rekordjahr im Beherbergungsgewerbe zu verkünden, lässt Ole von Beust (CDU) sich nicht nehmen. Auch wenn er nur 20 Minuten Zeit hat, weil er noch rasch den ICE nach Berlin nehmen und der angekündigte Fototermin „mit Touristen vor dem Rathaus“ deshalb entfallen muss. Aber die „hervorragenden Zahlen“ kann Dietrich von Albedyll, Geschäftsführer der Hamburg Tourismus GmbH, ja anschließend auch allein referieren, das Wesentliche skizziert knapp und bunt der Senatschef.

Von 5,95 Millionen Übernachtungen in- und ausländischer Gäste im Vorjahr und somit Platz 2 bundesweit und Platz 13 in Europa schwärmt von Beust, die magische Sechs-Millionen-Schwelle im Visier, welche den Eintritt in den Club der europäischen Top-Ten markiert. Die Liga also, in der Madrid und Barcelona spielen, Rom und auch Berlin, Paris und London sowieso. Dorthin soll der Weg gehen, sagt der Bürgermeister, und er weiß auch wie: „Die neue Hafencity, der neue Jungfernstieg, die spektakuläre Elbphilharmonie, das Marinemuseum Tamm, die Fußball-WM im nächsten Jahr“ – all das werde, prophezeit von Beust, „noch mehr Touristen nach Hamburg locken.“

Mit über drei Milliarden Euro Umsatz sei die Branche schon jetzt „einer der wichtigsten wirtschaftlichen Motoren“ der Stadt, etwa 77.000 Arbeitsplätze schaffe oder zumindest erhalte sie, und nicht zuletzt werde jeder zufriedene Gast zum „begeisterten Botschafter für Hamburg im In- und Ausland.“

Dann verkündet der Regierungschef noch schnell, dass ab 1. März ein neuer ICE um 23 Uhr Berlin verlassen und um halb eins in der Nacht Hamburg erreichen werde. Das sei für alle HamburgerInnen „ein hervorragendes Angebot, die das Berliner Nachtleben genießen wollen“, findet von Beust, der zuvor hansestädtische „Attraktionen“ wie St. Pauli und Reeperbahn, Oper, Schauspielhaus und Musicals wortreich angepriesen hatte, und entschwindet schon mal vorzeitig gen Hauptstadt.

Was Tourismus-Manager von Albedyll veranlasst, mittels eines runden Dutzends an Torten, Säulen und bunten Graphiken alle nur erdenklichen Zuwachsraten, Marktanteile, Fremdenverkehrsströme und Metropolenrankings an die Wand im Pressesaal des Rathauses zu powerpointen. „Kontinuierliches Wachstum überall“, macht von Albedyll aus, erwähnt, dass jeder Gast „pro Tag etwa 300 Euro in Hamburg lässt“ und skizziert weiter anschwellende Touristenströme durch das Erschließen „neuer Segmente im Low-Cost-Carrier-Trend“ – vulgo: Städtetrips mit Billigfliegern.

Und belegt „die gestiegene internationale Anziehungskraft der Destination Hamburg“ mit Schwindel erregenden Steigerungsraten von runden 20 Prozent bei Besuchern aus Frankreich und Italien. „Besonders auffallend“ aber, hebt von Albedyll mit Stolz in der Stimme hervor, seien die Werte bei den Wachstumsmärkten China (plus 19,7 Prozent) und arabische Golfstaaten (plus 21,9 Prozent).

Damit sind diese drauf und dran, aber das erwähnt Hamburgs Tourismus-Chef nicht besonders, im Ranking der Herkunftsländer den Polen den 17. Rang streitig zu machen.

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