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Der Charme der Eichhörnchen

Babylon at its best: Die Truppe „Image Aiguë“ tobt über die Kampnagelbretter und weiter durch Europa

Torben, Hecham und Dominik haben ein aufregendes Jahr vor sich: Palermo, Amsterdam, Paris. Kein schlechtes Programm für einen Dritt- und zwei Fünftklässler aus Bremer Vorortschulen. Zusammen mit acht weiteren Kindern und Jugendlichen aus ziemlich verschiedenen Ecken der Welt toben sie als wilde babylonische Bande über diverse Bühnen Europas. Heute und morgen auf Kampnagel.

Dahinter steckt die in Lyon ansässige Theatergruppe „Image Aiguë“. Deren Prinzip: Kinder und Jugendliche – gerne aus Migrationsfamilien, gerne in sozialen Brennpunkten zu Hause – bilden zusammen mit professionellen SchauspielerInnen ein Team, entwickeln in Workshops an wechselnden Orten ein eigenes Stück. Und los geht’s. Die Trümmer einer Klimaanlage (Bühnenbild: Bruno Corona) eignen sich hervorragend als Balancierobjekte in einer ansonsten nicht eben spielerischen Welt. Auf der Projektionsfläche im Hintergrund brennt ein Haus, manchmal sind dort auch paradiesische Hieronymus Bosch-Visionen zu sehen. Das Thema: Sich durchschlagen. Schlägen ausweichen. Selber Sieger sein.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat der bunten Truppe bereits den „Charme einer Horde Eichhörnchen“ attestiert, der „L‘Economiste“ erkennt gar die „Dimension eines Lebensprinzips“. Man kann es auch schlichter sagen: Regisseurin Christiane Véricel lässt die Kinder nach Herzenslust toben und träumen.

Ob das gerade in Armenisch, Bengali, Hoch- oder Dialektarabisch geschieht, bleibt dem Publikum en detail verborgen, klar aber ist: In Sachen Bühnenpräsenz würden die Kids manch etablierter Produktion die Butter vom Brot nehmen. Ein trockenes Baguette wird zum spielerischen Fokus, zum Objekt des gegenseitigen Abjagens – was für einige der Beteiligten nicht nur eine Brecht-mäßige Abstraktionsebene als Hintergrund hat.

„Addio Mamma“, der Titel der Produktion, wäre mit „Tschüss Mutti“ eindeutig zu harmlos übersetzt. Der sich hier abspielende Abschied von der Kindheit führt geradewegs in einen permanenten „Struggle of Live“. Wer was zu Essen hat, macht sich zur Zielscheibe, was immer man weg nehmen kann, wandert von Hand zu Hand. So entstehen rasante Jagden, Bühnenakrobatik und eine ordentliche Prise Oliver Hardy-Humor.

Seit 22 Jahren sammelt Christiane Véricel Kinder aus sozial schwachen Stadtteilen zusammen, um mit ihnen Theater zu machen und auf Tour zu gehen. Kleine Kinder auf großen Bühnen, die Bühne selbst als Schmelztiegel – funktioniert das? Erstaunlich gut. Wenn Giacinto, der kleine pralle Sizilianer, im Barockgewand seine Polka hinlegt, ist das was ziemlich anderes als der Tanz des dünnen schwarzen William aus dem Pariser Vorort. Und ergibt doch eine beeindruckende Gesamtszenerie. Genauso wie die Aktionen von Hecham Chehade, dem Bremer Libanesen und Habibur Rahaman, einem indischen Junge aus Palermo, die eine Konservendosenladung entern. Irgendwann flattert ein Huhn hinzu. Mit berechtigter Neugier.

Henning Bleyl

Heute und morgen (jeweils 19 Uhr) auf Kampnagel in Hamburg zu sehen

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