LIBANONS ZIVILGESELLSCHAFT PROTESTIERT GEMEINSAM. DAS REICHT NICHT: Antisyrische Gefühle sind kein Programm
Ganz Beirut ist mit den Porträts des ermordeten Ex-Premierministers Rafik Hariri bepflastert. Seit dem Tod Rafik Hariris vor einer Woche macht die Opposition mobil. Täglich gibt es Demonstrationen, Pressekonferenzen und Gedenkveranstaltungen. Die libanesische Nation zeigt sich auf den ersten Blick ungewohnt vereint in der Trauer um den Tod des Multimilliardärs, der wie kein anderer den Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg verkörpert. Doch das Land bleibt weiterhin gespalten. Für die Regierung ist das Attentat ein Werk „ausländischer Kräfte“, während die Opposition mit dem Drusen Walid Dschumblatt und seiner Sozialistischen Partei an der Spitze den großen Nachbarn Syrien und den Präsidentenpalast in Beirut dafür verantwortlich hält. Für solcherart Behauptungen wären die Demonstranten vor wenigen Wochen noch vom Militär zusammengeprügelt worden.
Es ist ein Aktionsbündnis, das jedoch kaum Zukunftsaussichten hat. In einem Machtvakuum, das nach dem Abzug der Syrer und einer Absetzung der Regierung entstehen würde, sind die Positionen der politischen und konfessionellen Gruppen nach wie vor so unterschiedlich, dass man kaum auf ein positives Resultat hoffen kann. Zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft bedarf es mehr als des freien Laufs lang unterdrückter Gefühle – die sich zudem in Übergriffen auf unschuldige syrische Bauarbeiter äußerten.
Ungeklärt ist zudem die Rolle der schiitischen Hisbollah, einer der wichtigsten politischen Gruppierungen des Libanons. Sie hält noch zur Regierung und will einen „ausgleichenden Dialog“ mit der Opposition. Ihr sitzt die UN-Resolution 1559 im Nacken, die nicht nur den Abzug syrischer Truppen, sondern auch eine Entwaffnung ihrer Organisation vorsieht. Doch ohne konkrete politische Garantien seitens der Opposition wird sich Hisbollah nie und nimmer dem Protest anschließen.
Andererseits kommen die populistischen antisyrischen Ressentiments den Hardlinern der schiitischen Volksbewegung höchst ungelegen. Gerade im sich anbahnenden israelisch-palästinensischen Friedensprozess, der jeden bewaffneten antiisraelischen Widerstand ad acta zu legen versucht, sind sie auf jeden Verbündeten – auch aus Syrien – angewiesen. Hisbollah wird alles dafür tun, dass sich die zukunftsfreudige Opposition in sektiererischen Klan-Verhandlungen über Ämter und Machtpositionen verliert, die noch lange nicht zur Verfügung stehen. Eine solche Strategie hat im Libanon noch immer funktioniert. Es käme einem Wunder gleich, wenn es dieses Mal anders laufen sollte. ALFRED HACKENSBERGER
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