: „Hier muss sich ein Junkie nicht schämen“
Der einzige Kölner Drogenkonsumraum soll 2006 zumachen. Peter S. war dort täglich zu Gast. Heute wohnt er in einer eigenen Wohnung und nimmt kein Heroin mehr: „Wenn der Raum schließt, sitzen Junkies wieder auf der Straße“
KÖLN taz ■ Die Einrichtung der 37 Quadratmeter kleinen Wohnung ist spärlich: Eine Schlafcouch, ein Tisch, drei Stühle und eine kleine Küchenzeile. Doch Peter S. ist stolz. „Seit Anfang Februar wohne ich hier“, erzählt der 28-Jährige und blickt selbst noch etwas staunend in sein erstes eigenes Reich. Kein Wunder: Noch im Jahre 2003 lebte Peter auf der Straße. „Täglich habe ich auf der Domplatte Passanten angeschnorrt“, schildert er seinen Überlebenskampf. Nachts kam der Drogenabhängige in der Notschlafstelle des „Sozialdienst Katholischer Männer“ (SKM) am Kölner Hauptbahnhof unter. Es war das erste Mal, dass Peter ein Hilfsangebot annahm.
Vorher hatte der gelernte Koch und Restaurantfachmann den Kampf gegen seine Sucht alleine geführt. „Neugier, falsche Freunde und zu viel Geld“ hätten ihn 1999 zum Heroin gebracht, berichtet Peter, der Anfang der 90er-Jahre mit zwei älteren Brüdern und seiner Mutter aus der ehemaligen Sowjetunion nach Aachen kam. Sein Vater war, als er zehn war, unter nie geklärten Umständen in Tadschikistan umgebracht worden – ein traumatisches Erlebnis, sagt er. In Aachen lebte er bei seiner Mutter, machte einen Realschulabschluss und eine Ausbildung. Bis das Heroin in sein Leben trat.
Als die ersten Entziehungsversuche gescheitert waren, ging Peter vor fünf Jahren in das Aachener Methadonprogramm, das er als Privatpatient selbst bezahlen musste. Die zehn Mark pro Tag für das Methadon verdiente er sich mit Wochenendjobs. Zu wenig um sein Leben zu finanzieren. Schulden und der Verlust der Wohnung waren die Folge. Mit der Mutter zog er nach Düren und versuchte dort einen Neuanfang. Während der gesamten Zeit nahm er nebenher weiter Heroin. Weil das Geld nie reichte, wurde er kriminell und schlug sich mit Diebstählen und Dealen durch. „Die Drogen aus dem Kopf herauszukriegen ist das größte Problem“, sagt er. Auch zwei stationäre Entgiftungen scheiterten.
2003 kam Peter nach Köln. Den zwei Jahre zuvor eröffneten Drogenkonsumraum des SKM nahm er gerne an. Täglich ging er dorthin, um sich unter den Augen einer Krankenpflegekraft einen Schuss zu setzen. „Das ist ein richtiger Schutzraum für mich gewesen“, lobt Peter das Projekt, das für ihn eine Wende im täglichen Kampf gegen seine Sucht bedeutete. Endlich musste er sich nicht mehr im Gebüsch oder in Parkhäusern vor der Polizei verstecken, wenn er Heroin spritzte. „Hier braucht man sich nicht zu schämen, Junkie zu sein.“
Seit Ende 2001 können Drogengebraucher am Hauptbahnhof mit sterilen Spritzen Heroin konsumieren – und noch bis Ende des Jahres; danach will die Stadt die Gelder streichen. „Wenn der Raum geschlossen wird, sind die Junkies wieder auf der Straße“, kommentiert Peter, der auch die anderen vom SKM angebotenen Hilfen zum Ausstieg und Entzug nutzte. Er übernachtete in der Notschlafstelle, bis ein Platz in einem Wohnprojekt des Vereins gefunden war. Die SKM-Mitarbeiter waren es auch, die ihm einen neuen Platz in einem Methadonprogramm besorgten. Und sie standen ihm vor Gericht zur Seite. Wegen Diebstählen, Drogenbesitzes und einem Autoeinbruch muss Peter S. jetzt „nur“ eine Geldstrafe zahlen und 1.000 Sozialstunden ableisten. „Ohne die Hilfen des SKM wäre ich längst im Knast.“
Heute ist Peter Ex-Junkie und freut sich über seine erste eigene Wohnung. „Ich habe das Gefühl, etwas geschafft zu haben.“ Jetzt will er versuchen, auch noch vom Methadon wegkommen. Sein größter Traum: eine eigene Familie zu gründen.
THOMAS SPOLERT
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