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Digital gesteuerte „Customization“

Computergestützt produzierte C_Möbel drängen auf den Markt. Ist die Technik erst ausgereift, könnte der Mittelstand einen Auftrieb erleben

C_Möbel ersparen teure Transporte und aufwändige Lagerhaltungen

VON MICHAEL KASISKE

Der verstärkte Hang zu individuell gefertigten Möbeln steht im krassen Gegensatz zur gewohnten Serienherstellung. Doch die imm cologne, die internationale Möbelmesse, blendete im Januar noch die Möglichkeiten von Aneignung und von sich an das Umfeld anpassenden Stücken vollkommen aus. „Customization“, also die „funktionale, ergonomische und/oder ästhetische Anpassungen von Produkten an die Wünsche und Anforderungen des Kunden“, blieb außen vor und damit auch die zunehmend auf den Markt drängenden C_Möbel.

Was verbirgt sich hinter den futuristisch tönenden Begriffen? C_Möbel sind „im Hinblick auf die Bedingungen der computergesteuerten Werkzeuge herstellungsgerecht entworfen und werden mit CNC-Technologie gefertigt“, definierte die Designtheoretikerin Dagmar Steffen in ihrem Buch zum Thema. CNC wiederum steht für Computerized Numerical Controlled, womit „computergestützte Steuerung von Fertigungs- bzw. Werkzeugmaschinen“ gemeint ist.

Eines der frühesten und auch in Serie gelangten Produkte ist die Garderobe „Emma Steel“ des Berliner Designer Hauke Murken. Zunächst im Designerpool „Garage Blau“, heute mit seinem Kollegen Sven Hansen, sind aktuelle Fertigungstechnologien seit langem integraler Bestandteil der gestalterischen Konzepte von Murken. „Emma Steel“ ist ein mittels Laserstrahl perforiertes Edelstahlblech, aus dem fünf Doppelhaken herausgebogen werden können und das somit ein Schnittmuster für eine Garderobenleiste wird.

Bei natürlichen Werkstoffen lässt sich eine dem Metallbau vergleichbare Genauigkeit lediglich mit Birkensperrholz realisieren. Der meist aus Finnland importierte Rohstoff, traditionell im Möbelbau beheimatet, ist hell und besitzt eine unaufdringliche Maserung. Die Platten lassen sich allseitig schneiden, fräsen und bohren, ohne ihre Kanten und Ecken einzubüßen. Diese Vorteile nutzte Murken bereits vor Jahren bei dem Stuhl „Oskar“, dessen Seitenteile computergesteuert gefräst werden.

Seinerzeit begann die Hochschule für Gestaltung Offenbach als erste akademische Stätte die systematische Untersuchung über von Rechner unterstützte Produktionen. Im Ergebnis konnten der leider jung verstorbene Designer Friedrich Sulzer und sein Kollege Jochen Gros einige wegen zu großem Aufwand nicht mehr angewandte Handwerkstechniken wieder in den Bereich des Möglichen rücken, wie etwa gefräste Verzapfungen oder gar Ornamente, die an den populären Hang zu Tätowierungen anknüpfen.

Unter ihrer Leitung entstand die Forschungs- und Entwicklungsstudie „C_MOEBEL. Elektronisches Musterbuch für CNC-gerechtes Design“, die die Grundlage zum Buch von Steffen bildet. Darin wird aufgezeigt, wie homogene Materialien – neben Birkensperrholz etwa Polyethanschaumstoff – über computergesteuerte Fräsen zu perfekten Formstücken verarbeitet oder in mehrschichtigen Platten ohne einen Handgriff exakt in die Tiefe bemessene Nuten eingeschnitten werden, die eingeklappt äußerlich unversehrte Rundungen ergeben. CNC-Fräsen sind allerdings erst in wenigen Hochschulen Standard und verleiten zudem oft zu so viel Künsteleien, dass die Fertigung zu teuer wird.

Dazu kommt, dass CNC-Fräsen Schwierigkeiten bei der Wahrung absoluter Präzision bereiten, weil die Köpfe sich noch schnell abnutzen. Wenn diese Methoden ausgereift sind und mit entsprechenden Standards Einzug in konventionellen Tischlereien halten, dann – so die Prognose von Hauke Murken – wird der Mittelstand einen Auftrieb erleben. Ein Möbel kann dann nämlich als Datei an einen nahe dem Verbraucher ansässigen Produzenten gesandt werden.

Wie eine Vorstufe erscheinen sowohl das Regalsystem „Folder“ von Murken als auch das „1- 2-3-Regalsystem“ von Vogt + Weizenegger. Beim Regal des Berliner Designerduos, die zum Design-Mai 2003 bereits den PC-gefertigten „Sinterchair“ präsentiert hatten, weisen lediglich die leicht zu versendenden Beschläge spezifische Formen auf, sodass die Regale theoretisch überall entsprechend den vorgegebenen Modulmaßen konfektioniert werden könnten. Das würde teure Transporte ersparen und aufwändige Lagerhaltung auf ein Minimum reduzieren.

Ein aktuelles, freilich äußerst manieriertes Highlight der Computertechnik ist der „breeding table“, der im Mittelpunkt der von der Internetplattform stylepark parallel zur Möbelmesse in Köln präsentierten Schau stand. Das deutsch-britische Duo Clemens Weisshaar und Reed Kram entwarf für die Tischgestelle lediglich Parameter hinsichtlich Größe und Statik, die im Rechner per Zufallsgenerator zu einzigartigen Stücke aus geformtem Blech führen. Zum Zeitpunkt der Vorstellung noch ein Prototyp, der als zeitgenössische Interpretation der Möbel von Jean Prouvé gefeiert und aus diesem Grund von VITRA gefördert wurde, kann das Möbel inzwischen bei dem italienischen Hersteller Moroso bestellt werden.

Ob andere Produzenten dem Beispiel von Moroso folgen oder ob sich der Möbelmarkt in kleinteilige und regional geprägte Strukturen wandelt, wird die Zukunft zeigen. Doch nicht nur für den Käufer böten sich Vorteile durch den unmittelbaren Kontakt zu Entwerfer und Hersteller, auch die Designer wollen sich neue Horizonte eröffnen. „Im Idealfall,“ so die Hoffnung von Gros, „lenkt die Art Customization von der elenden Aufgabe ab, unsere ohnehin schon höchst praktischen Dinge über ihren Grenzwertnutzen hinaus immer praktischer und praktischer und pseudopraktischer zu gestalten.“

www.murkenhansen.de, www.vogtweizenegger.com, www.moroso.itLiteratur Dagmar Steffen: „C_MOEBEL. Digitale Machart und gestalterische Eigenart“. Anabas Verlag, Frankfurt/M., 29,50 €

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