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Versäumte Aufklärung

Mehr interne Demokratie, ordentliche Aufarbeitung der eigenen Historie: Beim Verein für Hamburgische Geschichte könnten neue Zeiten anbrechen

von Alexander Diehl

Seit 1839 verfolgt der Verein für Hamburgische Geschichte das Ziel, diese zu bewahren und zu dokumentieren. Gegründet mit denkmalpflegerischen Absichten und traditionell getragen „von der bürgerlichen Oberschicht“ – wie es die Kollegen vom Hansischen Geschichtsverein in Lübeck formulierten –, brachte der Verein vor gut 100 Jahren das Museum für Hamburgische Geschichte auf den Weg und publiziert zu lokalgeschichtlichen Themen.

Unterblieben ist jetzt erhobenen Vorwürfen zufolge die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte – etwa mit dem Ausschluss aller jüdischen Mitglieder. Oder der bereitwilligen Installation eines wenig demokratischen Führungsprinzips. An diesen „verkrusteten Strukturen“ rühren möchten die Mitglieder Manfred Asendorf und Helmut Stubbe da Luz: Satzung und innerer Aufbau des Vereins, so Stubbe da Luz in einem nun vorgelegten Papier, sei „mit der modernen Auffassung von ‚Binnendemokratie‘ nicht mehr zu vereinbaren“. Demnach hat die Mitgliederversammlung nur das Recht, den Ersten Vorsitzenden zu bestätigen, traditionell hat diese Funktion der jeweilige Leiter des Hamburger Staatsarchivs inne. Dieser setzt dann den restlichen Vorstand ein, um dessen Zusammensetzung die normalen Mitglieder oftmals gar nichts wüssten, so Asendorf zur taz. Dieses „Führerprinzip“ sei im August 1933 installiert worden und gelte, weil entscheidendes Vereinspersonal nach 1945 in seinen Posten blieb, eben nur wenig verändert immer noch.

Auf der 165. Ordentlichen Mitgliederversammlung heute Abend im Staatsarchiv wollen Asendorf und Stubbe da Luz deshalb die Einsetzung eines Satzungsausschusses beantragen, der für mehr Transparenz und Mitgliedereinfluss sorgen soll. Auch soll – erstmals seit langem – ein Gegenkandidat für den Posten des Vorsitzenden ins Rennen gehen: Asendorf beabsichtigt, gegen Staatsarchivleiter Udo Schäfer anzutreten.

Auf ihrer Exkursion in die Vereinsvergangenheit stießen Asendorf und Stubbe da Luz auf ein weiteres Versäumnis ihrer Historikerkollegen: In einem zweiten Antrag setzen sie sich dafür ein, dass der noch 1989 in einer Festschrift verharmloste Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder aufgearbeitet wird. Aller „Nichtarier“ hatte man sich bis 1938 entledigt, aber bereits nach der „Machtergreifung“ traten erste Mitglieder aus – den Anfang, so Asendorf, machte Max Warburg, dessen Spenden den Verein ab 1918 überhaupt am Leben erhalten hatten.

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